Liebe B., 🌓
zuerst antworte ich Dir auf eine Passage aus Deinem letzten Brief vom 30. Mai, anschließend komme ich auf einen Deiner älteren Briefe zurück.
Aktive und passive Phasen wechseln einander ab, deshalb kann ich das nicht eindeutig mit Ja oder Nein beantworten. Das ruhige Abwarten entspricht meinem Wesen, insofern überwiegt dieses Verhalten. Andererseits möchte ich aber nicht – um ebenfalls im Bild zu bleiben – dauerhaft in die Leere abdriften und bemühe mich deshalb manchmal um kleine Richtungswechsel oder Anstöße, um dann wieder abzuwarten, was sich daraus entwickelt. Aber alles in allem kann ich wohl sagen: Ich habe es nicht eilig.
Es ist nur eine lose Anknüpfung, hauptsächlich assoziativ in Verbindung zum Rhythmus von aktiv und passiv. Meine Phasen würde ich zunächst unterteilen in „bejahende“ und „ablehnende“. Mein Leben ist in Ordnung und gut so, wie es ist und mein Leben und ich müssen erst noch völlig anders werden, damit „alles“ gut sein kann. Diese Phasen dauern in der Regel 1 bis 3 Tage. Interessant finde ich nun die Entdeckung, dass ich in Phasen, in denen ich mir Veränderungen wünsche, passiv bin oder, wie ich es ausdrücken würde, unproduktiv, während ich die bejahenden Phasen als kreative und insofern aktive Tage erlebe. Kreativ und unkreativ oder unproduktiv eignen sich deswegen besser, wie ich finde, weil sie sich auf die Haltung beziehen, in der ich etwas tue und nicht, wie „passiv“ oder „aktiv“ nahelegen, Tätigkeit oder Untätigkeit meinen. Wenn ich konzentriert, gesammelt, mit voller Aufmerksamkeit schreibe, lese, Musik höre, denke, putze, einkaufe oder spreche, dann empfinde ich dies als produktiv, während unproduktiv flüchtig, zerstreut, unaufmerksam, vor allen Dingen auch hektisch, in Hast meint. Es scheint oder ist es paradox? - in den verneinenden, an Veränderung ausgerichteten Phasen stagniere ich; anstatt aktiv zu verändern, verbringe ich diese Tage passiv und in innerer Unruhe. Die bejahenden Phasen hingegen, in denen nichts zu verändern mich treibt, empfinde ich als diejenigen, die mich und mein Leben verändern. Obwohl ich nicht sagen könnte, inwiefern eigentlich -
Aus Deinem Brief vom 11. Mai „Lebensgefühl(e)“:
Mich weiterhin als verheiratete Frau zu fühlen hat nicht (nur) etwas mit der anhaltenden Trauerphase zu tun, mehr mit dem selbstverständlichen Lebensgefühl der letzten 40 Jahre, das ich nicht so einfach ablegen kann. [...]
Die „verheiratete Frau“ lässt mich nicht los, und ich habe gemerkt, dass ich meine Äußerung von neulich korrigieren muß. Auch ich fühle mich nach wie vor „verheiratet“. Ebenso möchte ich die Äußerung in generellem Sinne berichtigen. Ich denke, ich muß es genau andersherum sehen. Ist es nicht selbstverständlich und normal, dass wir uns als verheiratete Frau(en) verstehen und fühlen?! Wir sind weder ledig noch geschieden, sondern verwitwet. Das bedeutet doch aber, die Ehe, im Status „verwitwet“ („verheiratet“ unter der Bedingung, der Ehemann oder die Ehefrau ist verstorben) angezeigt, dauert an (meine Briefüberschrift „Nach der Ehe“ hatte Dir einen „Stich versetzt“, was mir jetzt eine völlig richtige Reaktion zu sein scheint), auch wenn der Ehepartner oder die Ehepartnerin stirbt. Wir sind also nach wie vor verheiratet. Wir befinden uns in vollem Einklang mit dem, was man gesellschaftlich, rechtlich und staatlich unter „Ehe“ versteht. Ob ich mich in dieser Hinsicht in Einklang mit ... befinde, ist mir egal – aber ist es nicht die äußere Form für eine soziale und personale Identität wie die nicht auflösbare Verknüpfung, dass wir Kinder unserer Eltern sind und dauerhaft bleiben, ob sie nun leben oder nicht?! (der Vergleich mit den Eltern überschneidet sich zwar mit Deinem mail-Brief, aber ich möchte ihn dennoch hier stehen lassen).
Kann ich antizipieren, wie es sich anfühlt, mich nicht mehr als verheiratet zu verstehen? Ich kann das gar nicht – es kommt mir vor, als würde ich damit meine Biografie, mein Leben an einer Stelle abschneiden ...
Der Vergleich mit den Eltern ist natürlich insofern schief, als wir freiwillig von ihnen weggehen, während wir vom Ehepartner gegen unseren (und seinen) Willen verlassen wurden. Das Verheiratetsein-Gefühl ist daher immer, für immer? mit dem Verlust verbunden. Die Gemeinsamkeit liegt, so wie ich es sehe, in dem Umstand, dass die Kindschaft wie die Ehe den Hintergrund unseres zukünftigen Lebens bilden oder anders gesagt, sie sind ein Teil unseres gegenwärtigen Lebens.
Ob es möglich sein wird, das Verlustempfinden irgendwann gegen ein Gefühl des Zugewinns auszugleichen?
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Und jetzt springe ich nochmal zur „Radikalen Akzeptanz“. Wir hatten darüber vor Monaten gesprochen und soweit ich mich erinnere, habe ich damals gemeint, ich hätte den Tod meines Mannes voll akzeptiert. Aber nun, nachdem ich erneut darüber sinne, bin ich arg ins Zweifeln gekommen, ob das wirklich stimmt. Würde es nicht auch bedeuten, mein Alleineleben voll und ganz zu akzeptieren?! „Hadern“ ist zwar eine Nuance zu stark, aber mir fällt im Moment kein Wort ein, das um einen Hauch schwächer wäre. Richtig „im Reinen“ bin ich keineswegs, weder mit dem Tod meines Mannes noch mit meinem Alleineleben seither. Ich würde sehr gerne wissen, was Du jetzt, ebenfalls Monate später, antwortest.
F.
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