Liebe F.,
Liebe B., ich habe schwungvoll und energisch angesetzt und weiß nicht, warum meine Gedanken mir zunehmend im Unkonkreten zu versanden scheinen. Ich übergeb’s Dir so unfertig, wie es ist – vielleicht siehst Du einen weiterführenden Ansatz und/oder schweifst einfach weiter ...
Ich weiß nicht, woran es liegt – habe ich mich von deinem „Versanden“ anstecken lassen? –, aber ich finde keinen Ansatz für ein einigermaßen sinnvolles Weiterspinnen. Mehrere Versuche habe ich bereits wieder abgebrochen, weil ich gemerkt habe, dass ich „herumeiere“ zwischen den beiden Polen Veränderung und Gleichbleiben, die sich jeweils wieder unterteilen in Innerlich und Äußerlich, die außerdem nicht fein säuberlich getrennt sind, sondern ineinander verschränkt … Das aufzudröseln ist zwar nicht unmöglich, aber mühsam und umfangreich – zu umfangreich für diesen Rahmen.
Ich greife deshalb nur einen Punkt heraus, weil wir da so unterschiedlich sind. Du schreibst im Zusammenhang mit Veränderungen:
Mein Unglücklichsein mit mir selber, in psychologischer Terminologie, das mangelnde Selbstwertgefühl, das meine Stimmungen, Gefühle und auch mein Tun prägt. Da dies immer schon so war, würde ich diese Art der Beziehung zu mir selbst für eine wesentliche Eigenschaft ansehen (das ist eine sachliche Feststellung, kein Vorwurf an mich, das Schicksal oder an andere Menschen gerichtet).
Mein Veränderungswunsch dagegen hat seinen Grund nicht in einem Unglücklichsein mit mir selbst. Alles in allem finde ich mich ganz gut so, wie ich bin, inklusive meiner negativen Eigenschaften. Ich würde manches gern verstärken, anderes abschwächen, aber nichts Prinzipielles ändern wollen. Sicher kann man sich immer wünschen, irgendwie anders zu sein; dann hätte ich zwar einige positive Eigenschaften, die ich jetzt nicht habe, dafür aber andere negative Eigenschaften – welche sind besser, welcher schlechter? Eigentlich ist es egal. ABER: Das kann ich, im Unterschied zu dir, nur deshalb so sehen, weil ich nicht an mir selbst leide. Daraus erklärt sich vermutlich auch unser „entgegengesetzter Impetus“.
Aber was folgt daraus – folgt daraus was?
Fragen und Antworten
Ich möchte Dich direkt fragen. Da Du öfter vom „steckenbleiben“ oder hier vom „erstarren“ sprichst – ist es wirklich eine Art von Sorge, Du könnest im status quo verharren? Ich frage es deswegen, weil ich Dich so sehr anders wahrnehme. Beweglich, aufmerksam auf Dich –und Andere-, und vor allem auch reflektiert. Das heißt, ich kann so gar nichts erkennen, das auf ein resigniertes oder sich ergebendes Einrichten hin angelegt wäre. Oder drückt sich im „Erstarren“ die Befürchtung aus „soll es jetzt für immer (bis zum Tod) so weitergehen“ (wenn ich manchmal so denke, bin ich meistens schon in einer trüben Verfassung; jedenfalls empfinde ich diese Vorstellung als –auch wörtlich genommen- niederdrückend).
Die Sorge, ich könnte steckenbleiben, kommt nicht so sehr von einem „resignierten oder sich ergebenden Einrichten“, sondern eher von meinem Phlegma. Es gehört zu meinen ambivalenten Eigenschaften, dass ich mich mit (fast) allem abfinden kann. Es könnte also passieren, dass dieses – ich muss es jetzt mal so dramatisch ausdrücken – furchtbare Ereignis, dass mein Mann gestorben ist, ohne größere Auswirkungen auf mein Leben bleibt. Und diese Vorstellung beunruhigt mich manchmal.
„Ich schaffe das“, was meinst Du damit? Wenn ich mir diesen Satz in den ersten 2 Jahren (nach dem Tod meines Mannes) gesagt habe, dann hätte er übersetzt gelautet: Ein gutes, ein erfülltes, ein als sinnvoll erfahrenes Leben zu führen – ohne meinen Mann, alleine.
Oh nein, so weit gehen meine Gedanken dabei gar nicht. Wenn ich das denke, meine ich eher: Ich schaffe es weiterzuleben, ohne seelischen Schaden zu nehmen. Ohne daran (wieder so ein dramatischer Ausdruck) zu „zerbrechen“.
Und kannst Du sagen, warum Du „hier eher mehr oder minder positiv getönt“ schreibst? Ich habe zum Beispiel das Wort „Haltlosigkeit“ aus meinem letzten Brief wieder entfernt, weil ich mir dachte, daß immer ich das Negative ins Gespräch bringe (so bin ich überrascht, die Worte „Bitterkeit“ und „Schwermut“ bei Dir zu lesen, denn ich dachte, nur mich befielen sie gelegentlich) sodaß Du das Gespräch mit mir als runterziehend empfinden könntest.
Und ich komme mir manchmal wie die notorisch Fröhliche und Positive vor, was ja auch ganz schön nerven kann! (Meinen Mann hat es manchmal genervt. Auch wenn er es in anderer Hinsicht zu schätzen wusste – ich war sein Gegengewicht zu seiner pessimistisch-depressiven Grundstimmung, ich habe sein Leben hell gemacht.) Also ganz so eindimensional bin ich gar nicht. 😊
Innen und außen
Während ich jetzt überlegt habe, wie ich inhaltlich „Lebensführung“ und „Beziehungen“ unterscheiden würde, ist mir ein Bild vor Augen gekommen. Ich sehe mich, meine Person, vertikal in 2 Hälften geteilt, von denen die eine Hälfte Beziehungen hat, während die andere Hälfte einkauft, zum Tai-Chi geht, zum Unterricht, in ihrer Wohnung am Computer sitzt usw. Was für ein Unsinn :-))). Ich bin eine ungeteilte Person, die Vielfältiges tut. Selbst das Einkaufen ist mit persönlichen sozialen Kontakten verbunden, und am Computer sitzen bedeutet ebenfalls Kontakte zu haben, nämlich virtuelle. Ja, du hast recht, es „gehört alles zusammen“.
Wenn ich jetzt genauer darüber nachdenke, kann ich in deiner (zum Glück nur virtuellen!) Zweiteilung aber auch ein Moment der Wahrheit finden. Es gibt ja Handlungen, die mehr nach innen, und andere, die mehr nach außen gerichtet sind. Selbst bei ein und derselben Handlung kann mal die eine, mal die andere Richtung vorherrschen. Manchmal, wenn ich einkaufen gehe, befinde ich mich in meiner „Glasglocke“ (auch wieder so ein Bild, das mich schon viele Jahrzehnte begleitet). Ich sehe alles, alle sehen mich, aber ich lehne jeden Kontakt ab, ich will von der Welt nur das Nötigste wissen, bin lieber ganz bei und mit mir allein. An anderen Tagen dagegen bin ich sehr offen für alles, was auf mich zukommt, gehe bereitwillig auf jedes Lächeln, jedes Wort ein.
Es gehört also wirklich alles zusammen, aber zu je wechselnden Anteilen. Mal kümmere ich mich mehr um mich selbst, mal mehr um die Beziehungen. Bei mir ist es allerdings eher so, dass ich das jeweils als ganze Person mache, nicht zweigeteilt. (Was macht denn deine Beziehungs-Hälfte, während du gerade mit der Lebensführung beschäftigt bist? 🌗)
B.
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