Liebe F.,
Hm, wenn ich es näher bedenke, ähneln sich die Aussagen doch gar nicht, denn in Deinem Bild geht es um mehr oder weniger Behäbigkeit, und in meinem Bild geht es um den Drehpunkt. Ach, die Bilder ... ich lasse es so stehen.
Ich finde schon, dass die Bilder in eine ähnliche Richtung gehen. Die „Behäbigkeit“ könnte man auch mit Schwere beschreiben: Mein Boot ist schwerer, deshalb liegt es ruhiger im Wasser, und mein innerer Schwerpunkt ist schwerer, deshalb drehe ich mich um mich selbst und werde nicht hin und her geschleudert. (Daran könnte man dann noch „positive“ und „negative“ Assoziationen knüpfen: Ruhe, Gelassenheit, Faulheit, Distanziertheit, Gehemmtheit (das Tanzen!) …) Du dagegen bist leichter, sowohl als Jolle als auch am Band. (Die Assoziationen hierzu wären dann vielleicht: Offenheit, Zugewandtheit, Spontanität, Unruhe, Aufgeregtheit …) Aber ach, die Bilder … man sollte sie nicht überstrapazieren. 😊
Als Überleitung zum Thema Radikale Akzeptanz fällt mir ein, dass ich es interessant finde, dass ein und derselbe Charakterzug sowohl positive als auch negative Aspekte hat. (Eine Kollegin sagte mal: „Jede Stärke ist auch eine Schwäche.“) Ich bin ausgeglichen, dadurch oft aber auch phlegmatisch. Oder ich bin distanziert („unnahbar“), dadurch aber oft auch neutraler bei Streitigkeiten. Zur Akzeptanz meiner selbst kann es also beitragen, wenn ich mir bewusst mache, dass meine (vermeintlichen oder tatsächlichen) Schwächen gleichzeitig auch Stärken sind (und umgekehrt).
Dein Beispiel mit dem Kampf gegen die Krankheit illustriert ja genau das:
Mit dem Kämpfen sind Gefühle verbunden. Ich bin, allgemein gesagt aggressiv; näherhin wütend, vorwurfsvoll, ärgerlich, gereizt, dann wieder fühle ich mich ohnmächtig, gedemütigt, verängstigt. Klar, gegen das Unabänderliche zu kämpfen bedeutet, immer wieder und wieder festzustellen, dass ich unterliege. […] Wenn ich mich als Kämpferin betrachte, dann finde ich diese Eigenschaft schon mal sympathisch. Ich sehe meine kleine Person, die doch so energiegeladen ist, dass sie nicht aufgibt und immer neu und sehr beharrlich das Unmögliche versucht.
Wobei ich deinen Weg schon erstaunlich finde. Du akzeptierst die Situation nicht, aber dich selbst, und kommst dadurch dann doch zu einer Akzeptanz der Situation:
Meine Krankheit heiße ich nicht gut, aber ich bejahe mein Verhalten. Bejahen ist Liebe zu mir, ein Schritt im Prozeß des Radikalen Akzeptierens einer unveränderbaren Situation.
Obwohl – so fremd, wie ich zunächst dachte, ist mir das gar nicht. Mein Hauptansatzpunkt für die Radikale Akzeptanz ist der Tod meines Mannes, und hier ist es eindeutig die Situation, die ich versuche zu akzeptieren. Aber wir sprachen ja schon einmal über meine Schüchternheit, und da habe ich einen ähnlichen Weg eingeschlagen wie du – nicht das Augenmerk auf die Situation richten, sondern auf mich selbst. Ich kann nicht allen Situationen aus dem Weg gehen, in denen Unbehagen droht, schon von Berufs wegen nicht. Also habe ich mir irgendwann gesagt: „Na gut, ich bin also schüchtern, ich werde schnell rot, ich fühle mich schnell unsicher. Aber diese Momente machen doch eigentlich nur einen Bruchteil meines Lebens aus und sie gehen schnell vorüber. Daran muss ich nicht mein komplettes Selbstbild aufhängen.“ Und komischerweise wurden die Situationen immer seltener, die mich verunsicherten … Liegt das nur am Älterwerden? Oder vielleicht auch am Akzeptieren meiner Reaktion, wodurch diese Situationen ihre Wichtigkeit verloren und schneller abgehakt werden konnten, mich nicht mehr so lange beschäftigten und belasteten? Vermutlich eine Mischung aus beidem …
Auf jeden Fall empfinde ich deine Vorgehensweise, also das Akzeptieren der eigenen Reaktion, als so etwas wie die „hohe Schule“ der radikalen Akzeptanz. Das gehört wohl mit zum schwierigsten, aber hier sind auch die Möglichkeiten zur Veränderung am größten.
Die Befriedung, die durch die radikale Akzeptanz möglich wird, hängt bei mir außerdem stark mit einem Moment der Relativierung zusammen. Vielleicht meinst du hier Ähnliches:
Gut, es ist eine blöde Krankheit, die mich ein bisschen unberechenbar beeinträchtigt, aber ich kann diese Beeinträchtigungen ernstnehmen, ich muß mich ihrer nicht schämen, und andererseits lassen mir diese Beeinträchtigungen sehr große Spielräume. Womit der Blick für das Leben außerhalb des Gefängnisses geöffnet ist.
Die Fokussierung auf das Unangenehme, die Schwächen, das Widerständige, das Schreckliche kann sich lösen, sobald ich sehe, dass dies nur einen Teil meines Lebens ausmacht. (Vom Weltenlauf mal ganz abgesehen …) Auch das hilft mir.
Mich interessiert natürlich sehr, welchen Lösungsweg oder welche Lösungswege Du siehst. Denn per Willensbeschluß funktioniert der Wechsel vom Hadern zum „so ist es“ doch nicht, oder?
Ja und nein. Ein Willensbeschluss allein reicht wohl nicht aus, dass es mit dem Akzeptieren auch wirklich klappt. Andererseits kommt das auch nicht von selbst, das heißt, ich muss mich schon aktiv darum bemühen. Bei mir läuft das oft über die eben erwähnte Relativierung ab. Sub specie aeternitatis ist es ziemlich unerheblich, ob ich mich z. B. gerade über etwas ärgere. Selbst wenn man nicht gleich die Ewigkeit heranziehen will, sondern sagen wir mal nur einen Zeitraum von zehn Jahren – ist es in zehn Jahren noch wichtig, ob ich heute eine Tasse zerbrochen habe? Weiß ich das dann überhaupt noch?
Das ist eine sehr viel distanziertere Herangehensweise als deine, aber ich bin eben auch ein distanzierterer Mensch als du.
B. 🪐
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