Liebe B.,
ich antworte Dir auf Deinen Brief vom 25. April:
Trotzdem möchte ich dieses Leitbild beibehalten, auch wenn es vielleicht ein etwas zu hoch gestecktes Ziel ist.
Schön, dass Du diesen Aspekt aufgreifst, weil ich mir auch schon überlegt hatte, ob ich mit einem solchen Leit- oder Vorbild nicht womöglich an der Realität meiner Person vorbeigehe. Wenn ich von meinem Wesen oder meiner Natur her nun gar nicht das Ideal der unabhängigen und selbstbestimmten Frau jemals werde erfüllen können, dieses Ideal vor Augen nur meilenweit dahinter zurückbleiben kann, dann würde ich immer wieder nur mein Nicht-Genügen feststellen können. Allerdings scheint mir der positive Aspekt wichtiger. Das Leitbild ist in erster Linie eine Orientierungshilfe, mit der ich, wie Du sagst, das angestrebte „Ziel“ sehr klar herausfinden kann. Geradezu bestechend aber finde ich, dass das Leitbild mit einer ganz starken Energie ausgestattet ist; es ist ein Bild, das mich aus dem Innersten heraus antreibt, ihm näher und nahezukommen. Deswegen bleibe auch ich dabei. Und das ist übrigens auch der Grund, aus dem ich dieses Thema gerne gedanklich umkreisen möchte – alleine das Bedenken und Schreiben darüber erlebe ich als eine Annäherung an das Ideal.
(meine Visualisierung: sie kommt nach Hause, lässt sich erleichtert aufs Sofa fallen und denkt: „Ach, herrlich, dies ist jetzt mein Leben“).
An dieser Stelle ist mir erneut und diesmal noch deutlicher unsere unterschiedliche Herangehensweise bewusst geworden. Du stellst Dir vor, wie „es sich anfühlt“, während ich ein Bild vor mir habe, in dem ich mich wie von außen betrachte. Ich sehe mich die Straße entlanggehen, aufrecht, selbstsicher und nehme die Welt und vor allem auch die anderen Menschen mit meinem Blick in Besitz (meine gegenwärtige Wirklichkeit hingegen ist eher die des in Besitz genommen werdens). Du imaginierst Dich übrigens, im Unterschied zu mir, alleine, fällt mir auf. Mehrfach in diesen Tagen habe ich versucht, eine Umsetzung meines Bildes ins Lebensgefühl vorzunehmen ... es gelingt mir nicht und ist aber –vorläufig- für mich in Ordnung.
Dieses „nach der Ehe“ gab mir zunächst einen Stich, denn anscheinend hatte ich mich irgendwie immer noch als verheiratet angesehen, auch wenn mein Mann nun tot ist.
Und ich entdecke nun:
Ich finde es deshalb sehr überraschend, dass bei dir bei der Betrachtung des Ehelebens nicht der Verlust im Vordergrund steht, sondern der Schatz, den man darin hat. Eine Wendung um 180 Grad, auf die ich von selbst nicht gekommen wäre. Aber wenn man es so sieht wie du, dann wäre es auf einmal viel leichter! – Aber ist es das wirklich?
dass mir das Bild der unabhängigen und selbstbestimmten Frau deswegen abhanden gekommen ist, weil ich mich im Laufe der Zeit immer weniger als „verheiratete“ Frau gesehen habe. Andersherum, das ideale Bild beruhte –fundamental- auf dem Bewusstsein, immer noch verheiratet zu sein. Mein Mann hat mich –unsichtbar- bei jedem Schritt begleitet. Ich habe zwar alleine und dennoch wie „zu Zweit zusammen“ gelebt. Im Laufe der Zeit, als seine Gegenwärtigkeit sich eher zur Anwesenheit seines Abwesendseins entwickelte, da verlor sich das Bild allmählich. Mehr als diese Verknüpfung im Moment verblüfft feststellen, kann ich kaum. Was würde es für die Gegenwart bedeuten? Nein, ich glaube, ich muß erst noch einen Schritt zurückgehen und fragen, wie sehr mein Idealbild also daran hängt, mich als verheiratete Frau zu sehen. Die alleine lebende unabhängige Frau, die nur vor dem Hintergrund „funktioniert“, hauptsächlich doch „Ehefrau“ zu sein :-))).
[...] aber dieses Gefühl „Ach herrlich …!“ – nein, das will sich nicht einstellen. Und das wundert mich auch kein bisschen, denn das Leben ist nun einmal nicht herrlich, wenn einem der Mann gestorben ist.
Ich war bei meinen, wie ich finde, etwas zu eindringlichen Nachfragen wegen des „schwerer und leichter“ zu wenig aufmerksam auf unsere unterschiedlichen Situationen und infolgedessen habe ich Deine Situation nicht angemessen berücksichtigt. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Ob der Tod des Ehemannes 1 oder gute 5 Jahre zurückliegt, das ist wohl ein nicht geringer Unterschied.
F. 🌈
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