Liebe F.,
du hast in deinen Antworten vieles so schön aus- und zu Ende geführt, dass ich diesmal nicht viel mehr als zustimmendes Nicken beitragen kann. :-) Deshalb kommen heute nur ein paar kurze Bemerkungen und Assoziationen dazu.
Teleologie
Deine ausführlichen Gedanken hierzu zitiere ich nur auszugsweise, sonst wird das zu lang:
Versteht man dieses Wort lediglich als einen Begriff, mit dem ein Prozeß erfasst werden soll, nämlich der Prozeß, dass sich aus diesen und jenen Arten andere und neue Arten entwickeln, so wie man auch Rosen züchtet, dann bewegt man sich vor allem auf einer beschreibenden Ebene. Anthropomorphisiert man hingegen die Evolution, unterstellt man ihr Absichten, wie ein Mensch sie hat, und behauptet, die Evolution habe zum Ziel, die Gattung Mensch (als Krone der Schöpfung) hervorzubringen, dann ist dies ein immanentes teleologisches Modell. [...]
Nachdem ich den teleologischen Aspekt aus Deiner Antwort rausgeschafft habe, sehe ich trotzdem immer noch nicht klar. Ich versuche es mit Aufdröseln: Wir stimmen darin überein, dass wir Unterschiede benötigen, um erkennen zu können. Im Blick hatte ich eine wertungsfreie Aussage über den Menschen. Es ist unserer Sinnen- und Verstandesnatur eingeschrieben, dass wir nur auf diese Weise erkennen, weil wir nun einmal so „gestrickt“ sind. Es ist also weder gut noch schlecht und dient auch keinem Zweck, sondern es ist einfach so, wie es ist. So funktioniert das Erkennen des Menschen. […]
Ich möchte daher unterteilen. Meine Äußerung bezog sich ausschließlich auf die erkennende Funktion im Unterscheiden. Die „Zusammenhänge“ und „Relationen“ beziehen sich auf die Art und Weise, wie wir unterscheiden.
Schön aufgedröselt! :-) Dem ist von meiner Seite aus nichts mehr hinzuzufügen. Außer vielleicht etwas, was mir außerhalb deines Gedankenganges eingefallen ist:
„Der Mensch als Krone der Schöpfung“. Was um alles in der Welt lässt uns vermuten, dass die Evolution ausgerechnet beim Homo sapiens Stopp macht? Das ist so überheblich und so unhistorisch gedacht! Überhaupt, geht mir gerade auf, steht teleologisches Denken und damit das Voraussetzen eines irgendwann einmal zu erreichenden Endzustandes der buddhistischen Auffassung, dass sich alles wandelt und nichts Bestand hat, genau entgegen.
Reduktion
Gut, dass Du nicht folgen kannst, denn nun muß ich noch einmal meinen abgeschnittenen Gedankenfaden aufnehmen. Die wertungsfreie Feststellung, dass wir Freude und Schmerz wie das Erkennen von „hässlich“ und „schön“ auch nur durchs Unterscheiden haben, ist mir deswegen falsch vorgekommen, weil ich bei den Gefühlen auf einmal dachte, dass ich den Menschen reduziere, indem ich ihn unter einem Gesichtspunkt, der weder „gut“ noch „schlecht“ beinhaltet, rein funktionell betrachte. Als ich aber nun näher überlegt habe, ist mir deutlich geworden, dass die Gefühle selbst, so wie sie sich anfühlen, von der Feststellung, dass wir sie nur aufgrund ihrer Unterschiedenheit erkennen können, gar nicht tangiert werden. Es geht in beiden Fällen um das Erkennen und dies aber setzt die Unterscheidung voraus. „Schön“ und „hässlich“ werden ja auch auf irgendeine Weise erlebt, wenn sie von einem Menschen wahrgenommen werden. Das „feeling“ von Schmerz und Freude wird von meinem Unterscheidungsansatz überhaupt nicht berührt. Und Gefühle können selbstverständlich auch mit „gut“ und „schlecht“ bewertet werden. Da die Wahrnehmung von „hässlich“ oder „schön“ mit Empfindungen einhergeht, könnte man auf die Verschränkung des Sinnen- mit dem Gefühlsbereich eingehen, aber das, so denke ich, gehört ins Feld der „Interpretation“, das Du ins Spiel gebracht hast.
Ah ja, jetzt verstehe ich. Ja, die ERKLÄRUNG eines Gefühls ist nicht das Gefühl selbst. Man kann alles reduzieren, und das ist ja auch nicht falsch, es ist nur nicht die ganze Wirklichkeit. Wobei ich es immer etwas unheimlich finde, wie grundlegend man trotzdem auf dieser Reduktionsebene, nämlich mit einem Medikament, also mit Chemie, in die Gefühlswelt eindringen und sie manipulieren kann. Das widerspricht dann auch meinem Selbstbild oder meiner Vorstellung davon, nicht nur, wie sich Gefühle anfühlen, sondern auch, was Gefühle SIND.
Nichts Besonderes
Cool!!! Man ist verblüfft. Aber dann darf auch ich mein „um Himmels willen“ zur Antwort Deines Zenlehrers einwerfen. Gut, es hängt natürlich von der Beziehung ab, wie man eine solche Antwort aufnimmt, aber ich möchte nicht ausschließen, dass ich mir auf den Schlips getreten vorkäme. Als unbeteiligte Beobachterin der Szene bin ich trotzdem verwirrt, denn was meint diese Antwort? Komme ich mit derlei hehren Ansprüchen und Zielen daher, dann betätige ich mich ja nicht als Hellseherin und behaupte auch keine telepathische Begabung. Könnte er stattdessen auch sagen „es regnet“ oder „morgen ist Mittwoch“? Und noch deutlicher, „dummes Zeug“? Worauf kommt es an bei der Antwort? Die Ansprüche auf die Erde runterzuholen? Das Gegenüber zu verwirren?
Ja, das Auf den Schlips Treten ist gewiss mitbeabsichtigt. Aber ich denke, es geht vor allem darum, eine einseitige Sichtweise zu relativieren. Die Verabsolutierung der Alleinheit übersieht das Relative im Absoluten und das Absolute im Relativen. Zen-Dialektik, wenn man so will. Auf der relativen Ebene sind wir nun einmal nicht alle eins.
Während ich meinem Brief den letzten Schliff gebe, fällt mir nun doch endlich die von mir gesuchte rationale und erkennbare Verbindung zwischen fiktiver Äußerung und Antwort ein. Hätte man den Anspruch und das Ziel, sich wie in Alleinheit mit der Welt zu fühlen, dann wäre man eine Art gottähnliches Wesen, das die Flügel über die Welt breitet und selbstverständlich in Kenntnis auch der banalsten Verrichtungen eines jeden Menschen ist. „Gott sieht alles“. Vor diesem Hintergrund verstehe ich Muhos Antwort als einen Hinweis auf Bescheidenheit.
Auf Bescheidenheit wäre ich jetzt nicht gekommen, aber vielleicht ist das gar nicht so falsch. Wobei es hier wie gesagt nicht auf den Anspruch der Allwissenheit ankommt, sondern auf die Dialektik von Absolutem und Relativem. Oder vielleicht noch viel mehr – weil das ziemlich abgehoben klingt – um die Würdigung dessen, was einfach so ist, wie es ist, ohne dass man es etwas Größerem einverleibt. Mir fällt Adorno ein, der die Dinge vor dem Zugriff der Worte oder vor ihrer Zurichtung durch sie retten wollte – ein Gedanke, den ich immer sehr schön fand. So „rettet“ Muho mit dieser Antwort quasi die Welt, in der wir gewöhnlichen unerleuchteten Wesen leben. Das Nicht-Besondere.
Und die „Bescheidenheit“ ist das Stichwort für meine letzte Anmerkung. Aus Versuchsgründen habe ich mich den vergangenen 2 Tagen viel in dem, was man die „social media“ nennt, aufgehalten. Die Rückkehr in meinen Brief empfand ich als eine Wohltat. Unaufgeregt und nachdenklich lassen wir unsere Gedanken hier hin- und herfließen. Es gibt keine Eile, keine Besserwisserei … das ist sowas von angenehm!
Und keine Trolle und keine KI! :-)
B.
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