Liebe B.,
Wandel ohne Ziel?
„Der Mensch als Krone der Schöpfung“. Was um alles in der Welt lässt uns vermuten, dass die Evolution ausgerechnet beim Homo sapiens Stopp macht? Das ist so überheblich und so unhistorisch gedacht! Überhaupt, geht mir gerade auf, steht teleologisches Denken und damit das Voraussetzen eines irgendwann einmal zu erreichenden Endzustandes der buddhistischen Auffassung, dass sich alles wandelt und nichts Bestand hat, genau entgegen.
Wandel setzt „Zeit“ voraus, zumindest ist es dem Homo Sapiens, so glaube ich, nicht möglich, Veränderung ohne die zeitliche Dimension zu denken, oder? Zeit und Wandel wiederum sind zugleich auch mit dem Denken eines „Anfanges“ und eines „Endes“ verknüpft, mit dem Werden und Vergehen. Behaupte ich jetzt schwungvoll. Den biblischen Schöpfungsmythos zum Beispiel finde ich sehr schön, insbesondere die poetische Kraft darin. Das jüngste Gericht und der Endzustand hingegen sind verblasst, sie spielen, soweit ich weiß, keine Rolle mehr im theologischen und christlichen Denken. Endlos oder ewig geht es weiter, das Ende wird zumindest nicht thematisiert. Die Urknall-Theorie, eine andere, naturwissenschaftliche Form, den „Anfang“ zu denken. Ich schweife ab, fällt mir auf, wenn ich nun naheliegend finde, nach dem zu fragen, was denn vor dem Anfang war und nach dem Ende sein wird. Nichts – ebenso wenig zu denken wie die Zeitlosigkeit.
Zum „Wandel“ zurückkommend, schließt „Wandel“ nicht notwendig die Zielstrebigkeit aus. Weißt Du, ob der Wandel im Buddhismus ungerichtet, ziellos gedacht wird? Treten die zeitliche und die kosmische Dimension überhaupt in den Blick? Der unendliche oder besser der unbegrenzte Raum, das Universum scheint mir unvorstellbar, mir zumindest ist dieses Bild nicht vorstellbar. Lediglich begrifflich geht es. Entsprechendes gilt für die Zeit.
Ich habe meine Gedanken ziellos umherschweifen lassen und komme am Ende zu meiner Person zurück. Der Gedanke, dass auch ich mich während der Spanne meiner Lebensdauer beständig wandle, ohne ein Ziel, der gefällt mir gut.
Woher kommt der Geist?
Ah ja, jetzt verstehe ich. Ja, die ERKLÄRUNG eines Gefühls ist nicht das Gefühl selbst. Man kann alles reduzieren, und das ist ja auch nicht falsch, es ist nur nicht die ganze Wirklichkeit. Wobei ich es immer etwas unheimlich finde, wie grundlegend man trotzdem auf dieser Reduktionsebene, nämlich mit einem Medikament, also mit Chemie, in die Gefühlswelt eindringen und sie manipulieren kann. Das widerspricht dann auch meinem Selbstbild oder meiner Vorstellung davon, nicht nur, wie sich Gefühle anfühlen, sondern auch, was Gefühle SIND.
Ist es so? Ich probiere an dieser Stelle einmal etwas aus. Ich habe eine kostenlose ChatGPT-Version befragt und zwar in leichter Abwandlung Deiner Formulierung, ob Medikamente Gefühle verändern können. Die Antwort kopiere ich unverändert hierher:
Ja, Medikamente können tatsächlich Gefühle verändern. Viele Medikamente, insbesondere solche, die zur Behandlung von psychischen Erkrankungen eingesetzt werden, wirken auf chemische Prozesse im Gehirn. Diese Medikamente können Neurotransmitter wie Serotonin, Dopamin und Noradrenalin beeinflussen, die eine wichtige Rolle bei der Regulierung von Stimmung und Emotionen spielen.
Antidepressiva zum Beispiel zielen darauf ab, das Gleichgewicht dieser Neurotransmitter zu verbessern, was zu einer positiven Veränderung der Stimmung führen kann. Auch andere Medikamente, wie bestimmte Antipsychotika oder Angstlöser, können die emotionale Wahrnehmung und Reaktionen beeinflussen.
Wenn ich genau bin, dann fallen mir die Möglichkeit „können“ und der Ausdruck „regulieren“ ins Auge. Besonders das regulierende Moment scheint mir die Klarheit der Aussage, Medikamente könnten Gefühle verändern, wieder zu verwischen. An dieser Stelle könnte man sich in den medizinisch-biologischen Aspekt vertiefen, was ich aber nicht tun werde. Stattdessen nehme ich die klare Aussage und wende ein: Gefühle sind unstrittig intentional, d.h. sie sind auf „etwas“ gerichtet und haben somit einen Inhalt. Der Inhalt ist gedanklicher Natur. Wir können auch den Ausdruck der Interpretation benutzen. Es ist nicht so, dass wir fühlen und dann denken, sondern Gedanken ziehen Gefühle mit und nach sich.
Mir fällt ein gutes Beispiel ein, das Du vor längerer Zeit einmal erzählt hattest. Man geht auf einer Straße entlang und drei junge Mädchen, die eifrig in einem Gespräch vertieft sind, machen nicht die mindeste Anstalt auszuweichen, Platz zu schaffen, damit man an ihnen vorbeigehen kann. Möglichkeit eins ist, sich über die Rücksichtslosigkeit zu ärgern, weil man sich nicht wahrgenommen und beachtet findet. Möglichkeit zwei ist, sich über die Engagiertheit der drei jungen Frauen zu freuen und einfach beiseite und an ihnen vorbeizugehen. Das ist eine kurze Episode, die uns gelegentlich im Alltag begegnet, undramatisch, beiläufig, aber deutlich wird an ihr, dass wir eine Bewertung oder Deutung der Situation vornehmen, nicht bewusst und nach reiflicher Überlegung, sondern spontan. Deswegen werden auch die die Gedanken begleitenden Gefühle, Ärger oder Freude in uns unvermittelt auftauchen. Wir analysieren in dieser Situation weder die Gedanken noch die Gefühle.
Mehr oder weniger Serotonin begründen die Wahl von Möglichkeit eins oder zwei? Das kommt mir absurd vor. Aber vielleicht steht dahinter sowieso ein ganz anderes Rätsel, wie mir auf einmal in den Sinn kommt, nämlich die Frage, wie es überhaupt möglich ist, dass Stoffliches auf Geistiges einwirkt? Näher bedacht ist es ja ganz gleichgültig, ob Gefühle nun mit dem Denken verknüpft sind oder nicht, denn unerklärlich bleibt, wie das Gehirn Gedanken produziert. Wie entstehen aus Nervenzellen, elektrischen Signalen und Hormonen Gedanken –und/oder Gefühle? Wie bringt Stoffliches den Geist hervor? Wenn man sagt, das Denken sei eine Aktivität des Gehirns, dann ist das zwar eine Erklärung auf physiologisch-chemischer Ebene, nur bleibt aus meiner Sicht das Phänomen bestehen, dass aus der Materie das entsteht, was wir „Bewusstsein“ oder „Geist“ nennen, etwas kategorial vollkommen anderes.
Tabubruch?
(…) und keine KI! :-)
Bevor ich Deine Schlußbemerkung las, hatte ich meinen spontanen Einfall schon in die Tat umgesetzt. Es kommt mir vor wie ein Wagnis, eine Art von Tabubruch, entfernt vergleichbar dem Wechsel von der Handschrift zum Tippen. Der Hintergrund ist der, dass ich angefangen habe, mich mit der KI und ihren Möglichkeiten auseinanderzusetzen. Mich interessieren nicht die selbstfahrenden und einparkenden Autos und auch nicht die kleinen Roboter, die inzwischen in Restaurant die Bestellungen an die Tische bringen, wie ich hörte, sondern ihre Leistungen in Bezug auf Informationen und das eigenständige Erstellen von Texten. Aus diesem Grunde schaue ich manchmal, was ChatGPT im Unterschied zu anderen Auskunftsquellen zu antworten weiß. Für das von mir Zitierte paßt ein Ausdruck, den Du einmal benutzt hattest: "Floskel".
Wir unerleuchteten Wesen
Auf Bescheidenheit wäre ich jetzt nicht gekommen, aber vielleicht ist das gar nicht so falsch. Wobei es hier wie gesagt nicht auf den Anspruch der Allwissenheit ankommt, sondern auf die Dialektik von Absolutem und Relativem. Oder vielleicht noch viel mehr – weil das ziemlich abgehoben klingt – um die Würdigung dessen, was einfach so ist, wie es ist, ohne dass man es etwas Größerem einverleibt. Mir fällt Adorno ein, der die Dinge vor dem Zugriff der Worte oder vor ihrer Zurichtung durch sie retten wollte – ein Gedanke, den ich immer sehr schön fand. So „rettet“ Muho mit dieser Antwort quasi die Welt, in der wir gewöhnlichen unerleuchteten Wesen leben. Das Nicht-Besondere.
Das sind so superkluge Gedanken, dass mir noch nicht einmal Dümmeres einfällt zu sagen. Doch, ich erinnere mich an eine Äußerung von F. Mayröcker, die ich einmal in einem ihrer Texte gelesen habe: „Und wieder ist ein Tag vorbeigegangen, ohne dass ich die großen Fragen des Lebens beantwortet habe“ (aus der Erinnerung zitiert). Für mich schwingt darin mit, dass die großen Fragen von den unerleuchteten Wesen sowieso nicht zu beantworten sind und auch gar nicht beantwortet werden können, dass sie aber benötigt werden, damit immer noch etwas aussteht, das einer Antwort harrt. Der zweite Teil des letzten Satzes ist eine Ergänzung, die wohl typisch für mich ist.
F.
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