Brief 173 | Sei spontan :-)

Liebe B.,

Ich habe mal wieder ziemliche Schwierigkeiten mit meiner Antwort, was mir zeigt, dass meine Gedanken noch sehr unklar sind. Deshalb befürchte ich, dass ich jetzt mit vielen Worten immer wieder dasselbe sagen werde, ohne dass es dadurch klarer wird. Ich befinde mich noch in der „Findungsphase“, wie eine Kollegin mal so schön sagte.

Mir gefällt das, denn ich finde es reizvoller, Deine Gedanken wie Legosteine aus einem Kästchen vor mir aufgehäufelt zu sehen als ein fertiges Häuschen zu besichtigen. Mit den Steinen, die Du mir vorlegst, kann ich spielen und das heißt, wir können gemeinsam ein Häuschen zusammenstecken oder zusammenbauen.  

 

Sei spontan

Nein, die Bescheidenheitsgeste trifft es nicht, aber bei deinem Beispiel kann ich gut anknüpfen, weil das eine Situation ist, in der ich dieses „es kommt nicht auf mich an“ sehr hilfreich und befreiend fände. Dadurch, dass es nicht auf mich ankommt, muss ich nicht auf eine bestimmte Weise sein, sondern kann einfach nur sein. Ich muss mich nicht von meiner besten Seite zeigen, nicht einen bestimmten Eindruck machen, nicht einmal in Situationen, in denen es mir früher wichtig gewesen wäre. Ich hatte schon mal davon erzählt: Was habe ich mir im Vorfeld für einen Kopf vor dem ersten Dokusan, dem Vier-Augen-Gespräch mit dem Zenlehrer, gemacht! Bis ich erfahren habe, dass es dabei gerade nicht darauf ankommt, besonders klug oder tiefsinnig daherzukommen, tolle spirituelle Gedanken und Konzepte auszubreiten etc. Sondern während dieser zwei, drei Minuten ganz das zu leben, worum es im Zen geht: im Hier und Jetzt zu sein. Das hat eine enorme Wirkung gehabt, die bis heute anhält und mich wirklich nachhaltig beeinflusst hat.

Spontan reizt es mich, mich in die von Dir beschriebene Situation hineinzuversetzen. Ich trete durch eine Tür in den Raum, bleibe stehen und lasse den Eindruck auf mich wirken. Wie fühle ich mich, was denke ich, was sage ich? Da ist der Spontaneität allerdings schon eine Absicht vorgelagert, ich wäre gar nicht spontan, sondern reflektiert spontan – was ein Widerspruch in sich sein dürfte. Anders. Ich trete durch eine Tür, denke nichts –falls das möglich ist- und tue das, was mir unmittelbar einfällt. Das ist mir sehr schwer vorstellbar. Oder nein, genauer, ich kann mir gar nicht vorstellen, wie „spontan sein“ in dieser Situation funktioniert. Weiter unten bekomme ich von Dir bestätigt:  S o  einfach ist es nicht – wovon man doch annehmen sollte, es sei das Leichteste überhaupt. Spontan sein.

Eine andere, mich interessierende Überlegung ist der Wunsch, „tiefsinnig und klug“ daherzukommen. Das kann ich allerbestens nachvollziehen, denn genau diesen Wunsch hätte ich auch, denn s o möchte ich gesehen werden. Nicht nur von einem für mich fiktiven Zen-Lehrer, sondern generell von anderen Menschen. Warum möchte ich so gesehen werden? Weil ich mich selber so verstehe. Es ist ein Teil meiner Identität. Aber das nur nebenbei. Wenn ich „klug“ und „tiefsinnig“ bin, dann brauche ich es ja nicht zu zeigen, denn ich bin es. ABER: Ich bin auch vieles andere noch und gerade in dieser Situation, einem Zen-Lehrer gegenüberstehend, bin ich wahrscheinlich eher unsicher oder schüchtern oder komme mir gering vor, jedenfalls wahrscheinlich gerade nicht „klug“ und „tiefsinnig“ und schon gar nicht, wenn ich es absichtsvoll sein möchte.

Jetzt ist mir der Punkt entwischt, um den „es sich dreht“. Was heißt in dieser Situation „es kommt nicht auf mich an“? Nicht auf Deine Absicht, Deinen Wunsch, so oder so gesehen zu werden? Das jedoch würde aus meiner Sicht bedeuten, dass Du von Deiner Person Abstand nimmst, von Dir absiehst? Es würden sich ein Zen-Lehrer und eine Zen-Lernende begegnen? Hm, eine mögliche Verbindung sehe ich doch: Vielleicht, da es auf Dich nicht ankommt, bist Du befreit von der Überzeugung, Du müsstest die Situation aktiv gestalten. Da Du ja anfangs selber schreibst, Dich in der Findungsphase zu bewegen, werde ich Dich mit weiteren Fragen nicht traktieren. Ich stelle nur fest, dass ich den Zusammenhang nicht erkenne und außerdem gibt es weiter unten eine Fortsetzung.    

Ich kann mir vorstellen, dass man auch in ein erstes Date wie in ein Dokusan hineingehen kann. Alle Konzepte – was sage ich, was sage ich besser nicht, wie will ich wirken, wie will ich auf keinen Fall wirken etc. – versuchen beiseite zu lassen und sich der Situation überlassen. (Du schreibst zwar „ausgeliefert sein“, aber ich würde eher „überlassen“ sagen.) Einfach von Moment zu Moment gucken. Das ist, aufs Dokusan bezogen, nicht ganz die volle Wahrheit, muss ich zugeben. Ich habe mir oft genug im Voraus überlegt, was ich sagen will. Aber meistens verlief es völlig anders, als ich mir vorgenommen hatte, und ich vergaß darüber, was ich hatte sagen wollen oder es wurde komplett unwichtig, oder aber – seltener – ich habe es tatsächlich hingekriegt mein Sprüchlein aufzusagen, aber jedes Mal sofort gemerkt, dass das etwas sehr Unechtes hatte. Es passte einfach nicht, es war aufgesetzt, und es war mir jedes Mal eher unangenehm, als dass ich mich freute meinen Gedanken losgeworden zu sein. (Ich habe seitdem eine gesteigerte Sensibilität dafür, wann (und wie oft!) ich „unecht“ bin.) Dieses „es kommt nicht auf mich an“ bedeutet nicht, dass ich unwichtig bin in dieser Situation, sondern nur, dass sie sich nicht um mich dreht. Sie dreht sich aber auch nicht um den Zenlehrer. Oder anders: Es dreht sich sozusagen alles. :-) Ich fürchte, ich kann nicht gut erklären, was ich meine.

Das ist ein ganz liebreizender Abschnitt!!! Die Ersetzung des „ausgeliefert seins“ durch „mich überlassen“ gefällt mir sofort, weil der Ausdruck passgenauer sitzt. Wäre ich auf ihn gekommen, dann hätte ich ihn gewählt. Noch einige Worte zu meiner Situation und meinem „überlassen“. Völlig unabhängig davon, ob ich Frauen oder Männern begegne, immer muß, so wie man neuerdings sagt, „es passen“ oder eine andere Redewendung „muß die Chemie stimmen“ und dafür kann man selber und auch jeder andere Mensch nichts tun. Wir bestehen alle aus „buntscheckigen Fetzen“, die sich nicht alle in einem Moment jeweils zeigen, aber sie werden sich im näheren Kennenlernen zeigen. Entweder flattern sie schön zusammen oder sie tun es nicht. Sofern es sich nicht um sehr unangenehme Verhaltenseigenschaften handelt, die man besser verändern sollte, braucht man „nur zu sein“ – wie Du oben schreibst.

Spontan sehe ich ein Bild vor meinem inneren Auge. Der Zen-Lehrer und Du –die Zen-Lernende- befinden sich in einem weiten Raum, der nicht räumlich zu verstehen ist. Vergleichbar einem Feld von Energie. Dieses Energiefeld entsteht in der Begegnung und verändert sich während der 2-3 Minuten dauernden Begegnung. Tritt eine andere Person als Du in den Raum, dann wird ein anderes Feld erzeugt, und insofern kommt es schon auf Dich an. Andererseits ist dieses Energiefeld etwas, das entpersonalisiert ist. Es treffen zwar zwei konkrete Menschen aufeinander, mit ihrer einzigartigen Erscheinung, ihren Gedanken und Gefühlen, aber die Erzeugung des Feldes geschieht unabhängig vom Wollen und vom Wissen der Personen. Mit „wissen“ meine ich, dass in der Situation selbst nicht reflektiert wird, erst später. Beide Personen sind wichtig und sind es zugleich nicht, denn es ereignet sich „etwas“, das „zwischen“ ihnen liegt.               

 

Gleichzeitigkeit

Ein Beispiel ist vermutlich wieder hilfreicher als lange Erklärungen. In dem Museumsprojekt mit den geistig Beeinträchtigten, an dem ich beteiligt bin, habe ich quasi über Nacht die Aufgabe geerbt, am Ende einer jeden Session einen kleinen Vortrag über das gerade behandelte Bild und seinen Maler zu halten. Ich! Stehend! Vor 10 bis 15 Leuten! Frei sprechend! Das wäre noch vor einem Jahr undenkbar für mich gewesen, selbst in diesem geschützten Rahmen, in dem ich mich wohl und sicher fühle. Aber wenn ich jetzt da stehe, dann denke ich gar nicht viel darüber nach. Ich mach es einfach. Ich weiß, dass diese Aufgabe innerhalb des Projektes wichtig ist, ich nehme sie ernst, aber nicht mich selbst. All meine Befindlichkeiten sind weiterhin da und auch spürbar für mich, aber ich muss mich sozusagen nicht um sie kümmern. Der Effekt ist, dass mir die Sache tatsächlich Spaß macht, trotz gelegentlichem Herzklopfen, Verhaspeln und Rotwerden. Und ich bin sicher, dass das zu einem großen Teil daran liegt, dass es mir dabei nicht auf mich ankommt.

Oja, sehr gut nachvollziehen kann ich die Gleichzeitigkeit von Selbstwahrnehmung und mittendrin sein, also ein Agieren ohne Absicherung. Es ist eine beiläufige und begleitende Wahrnehmung meiner selbst, während ich in etwas Anderes engagiert bin. Vorrangig geht es weder um meine/Deine Person noch um die zuhörenden Personen, sondern um die Sache, über die gesprochen wird. Natürlich bist Du es, die den Vortrag hält und natürlich sind es diese Menschen, die Dir zuhören, aber im Mittelpunkt stehen das Bild und die Worte über das Bild. So wie es ist, wenn ich Unterricht gebe.  

 

Blick zurück

Die Distanz zu mir selbst (etwa in der Form von Selbstbeobachtung) ist etwas, was mich schon die meiste Zeit meines Lebens begleitet, das wäre also nichts Neues. Neu ist für mich, dass ich erstaunlicherweise diese Distanz aufgeben kann, ohne größere soziale Ängste zu entwickeln. (Alles in meinem bescheidenen Rahmen!) Ich kann mich emotional rausnehmen aus einer Situation. Das kann sich natürlich schnell ändern, je nachdem, wie die Situation weitergeht. Aber erst einmal führt das zu einer großen Offenheit. Ich vergesse mich selbst bis zu einem gewissen Grad. Es kommt nicht auf mich an, darum kann ich ganz dabei sein. Ich muss mich nicht um meine eigenen Befindlichkeiten kümmern.

Mir ist zu diesem letzten Abschnitt etwas eingefallen, mit dem ich mich im spekulativen Bereich bewege und möglicherweise auf einem Abweg. Schreiben möchte ich es dennoch. Die Distanz in Form der Selbstbeobachtung ist doch gerade keine Distanz, die man zu sich selbst hat?! Man kann sich selbst nicht vergessen, und dies scheint mir ein Ausdruck der Nicht-Distanziertheit. Ich sehe mich zwar von außen, so würde ich es ausdrücken, diese Außensicht auf mich kommt mir jedoch überhaupt nicht distanziert vor, denn sonst würde ich ja nicht zum Beispiel erröten!? Früher, bei Referaten in der Schule oder an der Uni war es stärker, als es gegenwärtig noch in Gruppen von Kollegen ist. Meine eigene Stimme hörte ich wie ein fremde Stimme, so als sei es nicht meine. Du sagst selbst „ich kann mich –bis zu einem gewissen Grad- vergessen“ und das heißt, dass Du es früher nicht gekonnt hast. Ich kann mich selber nicht vergessen ist für mich daher keine Distanz. Sofern wir von demselben Phänomen sprechen, würde ich sagen, dass man weder „mittendrin“ ist noch „Distanz zu sich selbst“ hat, man selbst ist eher gar nicht da oder man ist wie abgespalten von sich selbst. Ich möchte das nicht weiter problematisieren, weil ich denke, dass dieses Phänomen für mich keine Rolle mehr spielt –und, falls ich nicht an Dir vorbeispekuliert habe, es auch für Dich nicht mehr von Belang ist. 

F.

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