Liebe B.,
Prolog
Auch mein Brief ist kürzer als gewohnt, was allerdings einen einfachen praktischen Hintergrund hat. In der Wochenmitte, während ich an meinem Brief schrieb, fing die Schrift an von roten und grünen Schatten belegt zu werden, die Zeichen erschienen doppelt,und der Bildschirm flackerte. Trotz der miserablen Sichtverhältnisse habe ich tapfer noch das Wesentliche geschrieben und bin anschließend ins PC-Geschäft gegangen. Der Techniker sagte spontan, was er in all den Jahren bisher noch niemals gesagt hat: „Legen Sie sich ein neues Gerät zu“. Als er mir weiterhin sagte, ich könne einen neuen Laptop auch bei ihm im Geschäft zu einem, wie ich fand, guten Preis erwerben, habe ich ohne Zögern zugestimmt. Die Einrichtung mit der Datenübertragung hat dann aber doch bis Sonnabendmittag gedauert, sodaß ich nicht mehr viel Zeit zum Schreiben und vor allen Dingen zum Bedenken hatte.
Unter Vorgriff auf das Folgende frage ich: Ist das nun wichtig? Ist es für mich wichtig? Ja, ein funktionierender Laptop ist für mich, die ich kaum persönliche Kontakte habe, sehr wichtig, weil er mir Zugang zu anderen Menschen ermöglicht. In den Vorgang des Austauschens bin ich für 3 Tage involviert gewesen, ich erzähle die Geschichte auch unter anderem deswegen, aber in einigen Tagen ist davon gar nichts mehr wichtig :-))).
Aus dem Diffusen ins Klare
Ich will deshalb einen einzigen Punkt herausgreifen, weil ich sehr gern deine weiteren Gedanken dazu hören würde. Im Zusammenhang mit dem Themenkomplex Wichtig/Unwichtig „sub specie aeternitatis“ schriebst du:
Ich glaube, es hat deswegen den gegenteiligen Effekt, weil die Botschaft für mich darin ist, daß ich mich nicht ernst nehmen darf, d.h. es ist in unserer unterschiedlichen Grundstruktur begründet.
Meine erste Reaktion war gewesen: Von „dürfen“ ist doch überhaupt nicht die Rede gewesen. Natürlich darfst du dich ernst nehmen – aber du musst es nicht!
Du hast völlig recht, und es ist aufschlussreich, weil Deine Bemerkung (aus dem vorletzten Brief 168), die ich nun auch noch einmal zitiere:
Wenn es mich selbst betrifft, gehe ich manchmal noch einen Schritt weiter und frage mich: Ist es denn für mich selbst wichtig? Ist es überhaupt wichtig? „Es kommt nicht auf mich an!“
wie ein Angelhaken aus den Tiefen des Seelen-Wassers die Stimmen gezogen hat „nimm dich nicht so wichtig“, „du nimmst dich zu wichtig“, „du kreist nur um dich“. Das heißt, ich habe aus Deinen Sätzen automatisch eine Aufforderung an mich gemacht, ein moralisches Sollen, dem ich nicht genüge.
Du sagst „ist e s denn wichtig“? und beziehst Dich damit sicher auf Situationen, Erlebnisse, Gefühle und Gedanken und nicht auf Deine Person „bin ich denn wichtig“, und dennoch schwingt in dem Zusatz „auf mich kommt es nicht an“ doch der Bezug auf die ganze Person mit. Dazu weiter unten.
Wenn ich geschrieben hatte „die Botschaft darin für mich ist“, dann habe ich es während des Schreibens intuitiv gewusst oder geahnt, ohne es mir bewusst zu machen und gedanklich zu fassen, daß ich „falsch“ lese, daß ich mich ver-lese, das heißt ich muß gewusst haben, daß Du von einem „müssen“ überhaupt nichts gesagt hast und dieses „Müssen“ meine Lesart ist.
Aber ich glaube, das geht an dem vorbei, was du meinst oder von dem ich glaube, dass du es meinen könntest. Mir fiel ein, dass du mal vom „Nichten“ deiner Person geschrieben hattest (ein Ausdruck, der mich gleichzeitig erschreckt hatte und den ich nicht verstanden hatte bzw. nicht nachvollziehen konnte und vermutlich auch immer noch nicht wirklich kann). Wenn du dich sowieso schon „genichtet“ fühlst und dann komme ich und sage „Es kommt nicht auf dich an“, dann ist es ja kein Wunder, wenn dich das vollends herabzieht.
Unter solchen Voraussetzungen bekommt sich ernst nehmen zu dürfen eine ganz andere Bedeutung. Da geht es dann nicht mehr darum, ob man etwas oder sich selbst wichtig oder unwichtig nimmt, sondern darum, dass die eigene Person, die eigenen Gefühle überhaupt sein dürfen.
Es gibt auch in meinem Leben viele Situationen, in denen ich Distanz zu gewinnen versuche, indem ich in längeren zeitlichen Dimensionen denke. So wie in den vergangenen Tagen, in denen ich einfach die Perspektive auf einen späteren Zeitpunkt hin erweitert habe, indem ich auf eine Zeit blicke, zu der wieder „alles in Ordnung“ sein wird. Die Tage dazwischen werden dadurch kürzer, überschaubarer. Allerdings ist das, wie ich merke, doch etwas Anderes als mir zu sagen oder mich zu fragen, ob es denn „wichtig ist“.
Geht es jedoch um Ängste, eine seelische Befindlichkeit, die recht ausgeprägt ist, oder um meine Sehnsucht nach Geborgenheit, Wärme und Liebe, dann bedeutet „nicht ernst nehmen dürfen“ ein „Nein“ zu diesen wesentlichen Teilen meines Erlebens. Es bedeutet diese seelischen Befindlichkeiten für „unwichtig" ansehen zu müssen.
Es besteht also ein Unterschied zwischen sich ernst nehmen und sich ernst nehmen dürfen. Das heißt, es könnte sein, dass wir von unterschiedlichen Sachen sprechen, und ich weiß im Moment nicht, ob und wie wir das zusammenbringen können. Aber vielleicht muss man es auch gar nicht zusammenbringen, sondern kann es nebeneinander bestehen lassen? Du darfst dich ernst nehmen. Ich muss mich nicht ernst nehmen.
Es ist nicht so, daß ich nicht genau wüsste, was Du meinst und wovon Du sprichst. In kürzeren Phasen meines Lebens, immer dann, wenn ich mich sicher mit mir fühlte, habe ich eine große Distanz zu mir selber gewinnen können, die ich als befreiend empfunden habe. Doch, ich weiß, wie es sich anfühlt, von mir absehen zu können, Wünsche entweder auf eine zukünftige Zeit zu vertagen, oder sie auch ganz zu lassen. Soweit ich mich erinnere, ist das aber nur während meiner Ehe häufiger so gewesen. Seit ich alleine lebe, nicht mehr. Wahrscheinlich oder ziemlich sicher sogar setzt ein solches Absehen können einen Rahmen von Sicherheit voraus, in dem die Person als Ganzes nicht bedroht ist.
„Es kommt nicht auf mich an“
Ich meinerseits möchte beim „auf mich kommt es nicht an“ noch einmal einhaken, weil mir die Verbindung, die Du zum „ ist es denn überhaupt wichtig“ ziehst, diffus ist. Kannst Du konkretisieren, was Du damit meinst?
Mir selber fallen 2 Möglichkeiten ein. Einmal Situationen, von denen ich meine, daß ich unbedingt gesund und munter sein muß, weil sonst niemand da ist, der einspringt. Wenn mein Bruder in Uruguay sein wird, dann bin ich die Einzige, die beim Tod meiner Mutter die zu erledigenden Dinge erledigen kann. Und hier ist dieser Gedanke mir hilfreich. Wenn ich krank bin und es nicht tun kann, oder wenn es mich überhaupt nicht gäbe, dann würde irgendwer Anderes es schon tun. Ich bin nicht unersetzlich. Ich muß nicht funktionieren.
Oder aber bei Kontaktaufnahmen, die ich unter Druck vornehme, dann erlebe ich eine Enge, daß ich auf jeden Fall „alles richtig“ machen muß, kein falsches Wort sagen, nicht zu sehr mein Interesse zeigen, aber auch nicht zu wenig, zum rechten Zeitpunkt anwesend sein usw.usf. – und hier erleichtert es mich ebenfalls, wenn ich mir denke, daß ich mehr an die Dinge, d.h. die Zufälligkeiten, das Unwägbare ausgeliefert bin als ich denke. „Es kommt auf mich nicht an“ bedeutet, dass ein Wort überhaupt nicht entscheidet.
Hm, ich ahne, daß Du Anderes meinst, vielleicht so etwas wie eine Bescheidenheitsgeste des "Ich"?
F.
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