Liebe F.,
ich habe mit dem Beantworten deines letzten Briefes ein wenig Schwierigkeiten. Er beschäftigt sich einerseits viel mit mir und meinen Ansichten, aber das fortzusetzen habe ich jetzt nicht viel Lust. Andererseits enthält er eher theoretische Überlegungen, bei denen du größtenteils schon alles Wesentliche gesagt hast, ich könnte mich also nur noch in unwichtige Kleinigkeiten verlieren, wozu ich ebenfalls keine große Lust habe.
Ich will deshalb einen einzigen Punkt herausgreifen, weil ich sehr gern deine weiteren Gedanken dazu hören würde. Im Zusammenhang mit dem Themenkomplex Wichtig/Unwichtig „sub specie aeternitatis“ schriebst du:
Ich glaube, es hat deswegen den gegenteiligen Effekt, weil die Botschaft für mich darin ist, daß ich mich nicht ernst nehmen darf, d.h. es ist in unserer unterschiedlichen Grundstruktur begründet.
Meine erste Reaktion war gewesen: Von „dürfen“ ist doch überhaupt nicht die Rede gewesen. Natürlich darfst du dich ernst nehmen – aber du musst es nicht!
Aber ich glaube, das geht an dem vorbei, was du meinst oder von dem ich glaube, dass du es meinen könntest. Mir fiel ein, dass du mal vom „Nichten“ deiner Person geschrieben hattest (ein Ausdruck, der mich gleichzeitig erschreckt hatte und den ich nicht verstanden hatte bzw. nicht nachvollziehen konnte und vermutlich auch immer noch nicht wirklich kann). Wenn du dich sowieso schon „genichtet“ fühlst und dann komme ich und sage „Es kommt nicht auf dich an“, dann ist es ja kein Wunder, wenn dich das vollends herabzieht.
Unter solchen Voraussetzungen bekommt sich ernst nehmen zu dürfen eine ganz andere Bedeutung. Da geht es dann nicht mehr darum, ob man etwas oder sich selbst wichtig oder unwichtig nimmt, sondern darum, dass die eigene Person, die eigenen Gefühle überhaupt sein dürfen.
Es besteht also ein Unterschied zwischen sich ernst nehmen und sich ernst nehmen dürfen. Das heißt, es könnte sein, dass wir von unterschiedlichen Sachen sprechen, und ich weiß im Moment nicht, ob und wie wir das zusammenbringen können. Aber vielleicht muss man es auch gar nicht zusammenbringen, sondern kann es nebeneinander bestehen lassen? Du darfst dich ernst nehmen. Ich muss mich nicht ernst nehmen.
B.
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