Brief 153 | Im Einvernehmen -

Liebe B.,

Genug?

Ich denke, es hängt eher vom Material als von der Eng- oder Grobmaschigkeit ab, ob ein Netz elastisch ist. Gaze ist sehr feinmaschig und trotzdem weich und anpassungsfähig. Ein Teesieb ist grobmaschiger, aber starr. Inwieweit man das auf Menschen anwenden kann, verfolge ich jetzt nicht weiter. Ich denke allerdings, dass die Einteilung in grob- und feinmaschige Menschen etwas zu simpel ist. Ich lege das jetzt aber nicht auf die Goldwaage, es ist ja nur im Geschwätz geäußert. :-)

Wenn man Metaphern benutzt, hier das von Dir ins Gespräch geworfene „Netz“ für das Phänomen von Kontinuität und Wandel, dann möchten wir damit etwas veranschaulichen, das wir abstrakt –noch- nicht gut fassen können. Erweitern wir das Bild beliebig, so er-fassen (fangen) wir am Ende kaum noch etwas, das Netz bleibt leer. Damit, so glaube ich, können wir das Netz endgültig ein- oder zusammenrollen und vorläufig in den Schrank tun ...?  

 

Sowohl als entweder :-)

Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche. :-)) Wobei man das „früher“ getrost streichen kann. Ich denke sehr stark im Entweder-oder-Modus, was mir aber lange Zeit gar nicht bewusst war. Erst seit ich das weiß und bei mir immer wieder sehe, bemühe ich mich, sowie ich das merke (was manchmal ganz schön lange dauern kann und auch gewiss längst nicht immer der Fall ist) in den Sowohl-als-auch-Modus zu gelangen. Und ja, ich verteidige ihn, weil ich ihn in vielen Fällen für richtiger oder angemessener halte.

Dieses Bild, ist es ein Original von Dir oder handelt es sich um eine bekannte Redewendung, die nur mir bisher meinen Weg nicht gekreuzt hat? (die Elche müßten buchstäblich an mir vorbeigelaufen sein).

Ich glaube, ich werde Dir beispringen, gehe dazu allerdings nicht über die Suchfunktion, um mir alle Stellen anzeigen zu lassen, an denen Du „sowohl als auch“ erwähnt hast, sondern vertraue meinem Gedächtnis. Soweit ich mich erinnere, hast Du –zumindest häufiger- Deine Überlegungen unter dem Gesichtspunkt des „entweder-oder“ ausgeführt, um dann ganz zum Schluß Deinen Gedankengang zu beenden mit einem „aber wie wohl in den meisten Fällen dürfte ein ‚sowohl als auch’ angemessener sein“ (so oder ähnlich). Deine Formulierung oben also ist es, die meine Erinnerung aktiviert. Das „sowohl als auch“ blieb dann jeweils unausgeführt. Insofern kann ich Dein Bemühen ganz und gar bestätigen: „Entweder-oder“ verläuft in tiefen Spurrillen, aus denen herauszukommen Aufmerksamkeit erfordert und manchmal eben nur durch die theoretische Feststellung, daß außerhalb der Spurrillen zu denken sicher zutreffender ist.    

 

Ungeometrisch 

Jetzt verstehe ich es noch weniger. Du meinst, alles Gedankliche geht in die Vertikale, alles „Reale“ in die Horizontale? Und was ist mit dem Feld, das durch diese beiden Koordinaten entsteht? Was ist mit der dritten Dimension? Warum kann ein Ideal nicht auch auf der Horizontalen liegen (also durch reale Schritte erreichbar sein), wenn auch in weiter Ferne? Warum kann ich nicht nach „oben“, hinauf zu meinem Ideal gucken, um mich auf meinem Weg in der Horizontalen von diesem Stern leiten zu lassen? Das, was du beschreibst, liest sich für mich so, als gäbe es keine Möglichkeit Denken und Handeln zu verbinden. Entweder man springt hoch oder man springt weit. Entweder man hängt seinem Ideal nach und vergisst darüber das Handeln, oder man bewegt sich in großen oder kleinen Schritten in der Realität, ohne recht zu wissen, wohin man überhaupt will. – Aber vielleicht hast du ja auch nur ein etwas ungünstiges Bild für das gewählt, was du eigentlich sagen wolltest? Oder ich habe es missverstanden?

Ich stimme mit Dir einschließlich jedes Kommas und Punktes überein und deswegen führt es meines Erachtens nur immer weiter auf Abwege, würde ich das Bild aufnehmen und im Bild zu erklären versuchen. Stattdessen gehe ich an den Ausgangspunkt zurück und der war ein Satz in Deinem Brief 149:

Der Gedanke, dass ich einfach nur mit dem umgehen muss, was „der Fall ist“, und nicht mit dem Roman, den ich darum herum schreibe, war sozusagen vom Kopf in den Körper gewandert.

Den Gedanken fand ich toll, er hat mich angesprungen. In einem plakativen und vereinfachenden Bild sehe ich ein Kaninchen, das das Bild von sich, ein Elefant zu sein, entwirft. Was soll das?! Nein, das ist noch nicht gut. Ich hatte nach dem Tod meines Mannes ein Bild von mir entworfen, meine äußere Erscheinung, mein Verhalten, mein Befinden, meine Empfindungen – und dieses Bild war ausschließlich im Kopf, es waren Gedanken. Mit meiner Person, wie ich tatsächlich bin, hatte das Bild nichts zu tun. Die Realität meiner Person und das Bild standen unverbunden nebeneinander. Es gab keine Verknüpfungspunkte. Um in dieses Bild hineinschlüpfen zu können, mich ihm überhaupt nur annähern zu können, hätte ich eine Andere sein müssen als die, die ich bin.        

 

Im Einvernehmen

Zumindest ist sie so gestellt, dass ich nicht verstehe, worum es dir geht. Dir kommt der Abstand zwischen Innen und Außen unüberbrückbar vor, ist es das?

Ich habe den Faden verloren, erinnere nur noch vage, daß es mich wieder in die Richtung des Themas des imaginären und nicht imaginären Außen trieb, über das wir uns lang und breit unterhalten haben. Ich möchte daher gar nicht erst den Versuch machen, den Faden wiederzufinden, sondern spinne einfach weiter, so wie Du es auch getan hast.

Da ich nicht verstehe, worauf du hinauswillst, schreibe ich einfach das, was mir dazu eingefallen ist. Kleinen Kindern kann man sagen, dass alles [!] gut ist, und sie fühlen sich getröstet. Der kindliche Anteil in uns ist dafür immer noch empfänglich, denke ich. Aber zumindest bei mir ist es so, dass es neben diesem kindlichen Anteil auch einen großen Anteil Nicht-Kindlichkeit gibt, und dieser Anteil kann mit solchen Pauschalsätzen nicht viel anfangen. Alle Lebenserfahrung spricht dagegen, dass ALLES gut ist. Bei mir wäre diese Form der Tröstung also nur sehr, sehr kurzfristig wirksam. Nicht, weil ich intellektuell weiß, dass sie nicht stimmt, sondern weil ich mich damit für dumm verkauft, nicht ernst genommen, abgefertigt fühle. Es ist ein Gefühl, das da rebelliert, um einen Begriff von dir aufzunehmen. Vielleicht rebelliert sogar das Kind in mir, weil es ernst genommen werden möchte.

Du hattest einmal wenige Jahre nach dem Tod Deines Mannes eine Morgenepisode erzählt, wie Du am Frühstückstisch gesessen hast, alleine und traurig und ein Gefühl des „alles ist gut, so wie es ist“ sich in Dir ausgebreitet hat. Ein Einverständnis also auch mit dem, was nicht gut ist –falls ich Dich richtig verstanden habe. Das Einverständnis ist für mich der entscheidende Punkt. Ein solches Gefühl oder besser vielleicht ein solches Gedanken- und Gefühlszusammenspiel dürfte nicht das Ergebnis einer Gedankenarbeit, eines rationalen Abwägens sein. Es ist unmittelbar präsent und durchzieht den ganzen Körper.

„Einverständnis“ bedeutet doch, das Getrennte durch ein „ja“ zu verbinden oder bedeutet es, überhaupt gar nicht erst Getrenntes zu denken? Ich möchte versuchen, ohne „innen“ und „außen“ auszukommen. Zugefügt wurde Dir der Verlust ohne Dein Zutun, gegen Deinen Willen und die Realität daraus ist der Morgen alleine am Frühstückstisch. Die Traurigkeit ist kein glücklicher Moment, sie wird aber angenommen durch ein „ja“.

Ich schwenke zu mir und versuche die Anwendung auf mich. Einverständnis bedeutet auf meine Person übertragen, die widerstreitenden Gefühle und Gedanken, die Zerrissenheit, die Kämpfe zwischen Ablehnung und Akzeptanz meiner Person, die erbitterten „Neins“ gegen manche der mir widerfahrenden Ereignisse mit einer Klammer, die davor steht, zu versehen und vor der Klammer ist ein „ja“! Das muß jetzt nur noch vom Kopf in den Körper oder auf das Vorangehende Bezug nehmend, es muß sich in einem unmittelbaren Erleben zeigen. „Muß“ klingt fordernd, zwingend, das aber meine ich gar nicht. Zu einer Erfahrung wird der Klammervorsatz nur erst dann, wenn das Verstandene sich über oder im Körper ausbreitet.

Im Unterschied zu Dir, so glaube ich, bezieht sich das Einverständnis bei mir hauptsächlich auf meine Person, während Du in erster Linie allgemeine Lebensumstände, Situationen im Blick hast, die auch gar nicht nur Dich betreffen müssen. Was alles so in der Welt vorkommt ... und eben ganz und gar nicht gut ist.

Nun hatte ich das Einverständnis an die Stimme des guten Vaters gebunden, was jedoch, wie ich schrieb, von mir aus auch weggelassen werden kann. Wie funktioniert die Geschichte dann folgendermaßen:  

Man muß gar nicht viel denken, oder? Man wägt nicht ab, Vor- und Nachteile, angenehm und unangenehm, Fort- oder Rückschritt, stellt nicht die Frage nach dem Sinn des Ganzen, es fühlt sich insgesamt gut an. Das ist es.

„Man muss gar nicht viel denken, oder?“ Was für ein Satz! Ich lasse ihn so stehen, ohne ihn zu zerdenken.

Ich denke ununterbrochen, es fühlt sich insgesamt nicht gut an, :-) Wie kommt mir das Einvernehmen mit mir mühelos zu, ohne Denken? Da ich einen solchen Seelenzustand einige wenige Male in meinem Leben erfahren habe, bewusst jedenfalls nur wenige Male, weiß ich, wie es sich anfühlt, nämlich insgesamt gut.

F.

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