Brief 136 | "What the hell is water?"

Liebe F.,

What the hell is water?“

Es ist so großartig, was Du schreibst. Ich bin total begeistert davon. Seit nahezu zwei Jahren haben wir immer wieder über dieses Thema gesprochen, und ich bin jedesmal im Gedanken-Gestrüpp hängengeblieben ohne voranzukommen. Und nun, Deine Art der Verbalisierung legt mir den Blick frei(er). Alleine die Unterscheidung in das „imaginäre“ und das „nicht-imaginäre“ Außen - ich habe die Unterteilung überhaupt nicht gesehen, ich ahnte die Nebelwand nur. Natürlich, es gibt das –auch für mich- normale selbstverständliche Außen, das ich so hinnehme, wie es ist, ohne ihm mir feindlich oder freundlich gesonnene Absicht zu unterstellen. Und Deine Terminologie, „Intentionalität“, „Bewusstsein“ finde ich umwerfend treffend. „Feindlich“ oder „freundlich“ gesonnen ... Ob ich die Veränderung schon genau richtig erfasse, weiß ich noch nicht. „Intentionalität“ und „Bewusstsein“ nehmen diesem imaginären Teil des Außen seine Schärfe, besser seine Macht. Es steht mir mit diesen Termini ebenbürtiger gegenüber. „Gott“ bedeutet - ich glaube, ich las es so sinngemäß bei H. Blumenberg -, daß wir einen Teil von uns ins Außen setzen, nämlich die erwünschte Allmächtigkeit, und anschließend kommt es uns als das Absolute (Gott) von außen entgegen. Wenn man „glaubt“. Dies ist vorausgesetzt, denn andernfalls bleibt der Auslagerungsvorgang bedeutungslos. Das „Bewusstsein“ hingegen, das Absichten in Hinsicht auf meine Person hat, ist nichts Absolutes, ich kann es wegnehmen, und es wird zum nicht-imaginären Außen. Was geschieht, wenn ich es wegnehme und es sich im nicht-imaginären Außen auflöst, das erprobe ich.

Ich bin völlig verblüfft, dass dir das so neu und erhellend ist. Das ist wohl wieder mal ein blinder Fleck bei mir – für mich ist das alles so klar und selbstverständlich, dass ich ursprünglich gar nicht darauf gekommen bin das ausdrücklich auszuführen. „What the hell is water?“ :-)

Damit beginnt David Foster Wallace eine Rede – einer der tollsten Texte, die ich je gehört habe. Im Ganzen lautet die Eingangsgeschichte so:

There are these two young fish swimming along, and they happen to meet an older fish swimming the other way, who nods at them and says „Morning, boys, how’s the water?“ And the two young fish swim on for a bit, and then eventually one of them looks over at the other and goes, „What the hell is water?“

Dass für mich die Unterscheidung in das imaginäre und das nichtimaginäre Außen so selbstverständlich ist, ist vermutlich auch der Grund, warum ich überhaupt nicht verstehe, was du mit dem „Wegnehmen des Bewusstseins“ meinst.

 

Zeremonie ohne Bedeutung

Dann knüpfe ich mit meiner Erfahrung an. Ich wollte in den Konfirmationsunterricht gehen und bin auch gerne hingegangen. Ich habe an Gott geglaubt, und ich fand diesen Gedanken schön. Er hat mir sehr geholfen. Wann immer meine Mutter mich kränkte und nicht gut zu mir war, habe ich mit Gott-Vater gesprochen, und er hat mich getröstet. Die Funktion ist eindeutig, der Grund für mein „Glauben“ ist sie gewiß nicht. Dazu dann im nächsten Abschnitt. Vielleicht ist die Frage, ob man am Konfirmationsunterricht teilnimmt oder nicht, der Zeitpunkt, an dem die eigene Haltung ins Bewusstsein tritt? Ich zumindest kann mich an die Zeit davor nicht erinnern und weiß nicht, ob sich mein Gottesglaube entwickelt hat, oder ob es ein früheres Schlüsselerlebnis gegeben hat.

Mir war das Nicht-Glauben sozusagen in die Wiege gelegt. Ich wüsste nicht, dass irgendjemand in unserer Familie religiös gewesen wäre, es wurde nicht einmal zu Weihnachten in die Kirche gegangen. Umso blöder fand ich es, dass ich getauft worden war und nun konfirmiert werden sollte – es geschah ausdrücklich, weil meine Mutter „nichts versäumen“ wollte, weil sie meiner Schwester und mir nichts „vorenthalten“ wollte, was eventuell mal wichtig werden könnte, auch wenn sie selbst nicht daran glaubte (meinem Vater war es, so vermute ich, egal, der war bestimmt Agnostiker, aber ich war zu jung, als meine Eltern sich scheiden ließen, ich habe also nie mit ihm darüber gesprochen). Es war von vornherein eine Zeremonie ohne Bedeutung.

Was mir an der „Farbenblindheit“ nicht gefällt, ist die Voraussetzung, daß normalerweise „Farben“ gesehen werden (von der Mehrzahl der Menschen) und sie nicht zu sehen, eine Abweichung, ein Defizit ist. Man müsste sie sehen, sieht sie jedoch nicht. Es ist mir zu wertend.

Ja, an dieser Stelle hinkt das Bild, ich weiß. Aber für mich überwiegt der Vorteil, dass es so klar die Unmöglichkeit des Glaubens darstellt.

 

Behelfsweise

Ich habe Deine Aussage „die Welt wird mit sich selbst identisch“ betrachtet und mir ist dazu der Begriff „Immanenz“ eingefallen (der begrifflich natürlich ohne sein Gegenstück „Transzendenz“ nicht zu denken ist) und von der Immanenz her, die für mich das „nur dies hier“ bedeutet, kann ich Deine Faszination gut nachvollziehen (ich kann nicht erklären, warum mir der Zugang über das Wort „Immanenz“ leichter fällt). Diesseits und Jenseits machen die Welt, das Irdische, das Weltliche zu einem Defizitären, während die Welt als mit sich Identischem die Welt zu Einem macht. Sie ist nur das, was sie ist. Es fehlt ihr nichts.

Oh, wie schön du das ausgedrückt hast! Ja, es fehlt ihr nichts.

Der Begriff Immanenz ist zwar naheliegend, aber ich verwende ihn trotzdem eher ungern (habe es aber auch schon getan), genau aus dem Grund, den du genannt hast: Man kann ihn nicht von seinem Gegenstück Transzendenz trennen. Immanenz ist eine Beschränkung auf die eine Seite dieser Medaille, während es nach meinem Verständnis überhaupt keine Gegenseite gibt, es gibt nur dieses Eine hier und jetzt. Insofern kann man allerdings eigentlich auch gar nicht darüber sprechen, denn etwas, was Alles ist, ist ja gleichzeitig wiederum gar nichts. Wenn ALLES rot ist, wie sollte man dann Rot erkennen? Wenn alles rot ist, gibt es keine Farben. Insofern brauchen wir, um überhaupt von etwas sprechen zu können, wohl immer auch die Kehrseite, zumindest behelfsweise. Aber ist nicht ohnehin alles Sprechen nur behelfsweise?

 

Spieglein, Spieglein ...

„Du bist nicht das Spiegelbild,
doch das Spiegelbild ist Du.“

Obwohl ich mich einfach zu unintelligent finde, um zu verstehen, möchte ich Dir wenigstens das, was mein Geist sich denkt, schreiben. „Du bist nicht das Spiegelbild“ interpretiere ich so, daß ich (das angesprochene „du“) natürlich nicht das Spiegelbild bin, denn ich weiß ja, daß ich mich lediglich im Spiegel sehe. Das Spiegelbild hingegen hat kein Bewusstsein von sich, deswegen kann es nichts anderes sein als ich („du“). Hm, logisch gedacht, wäre der nächste Schritt dann, daß ich doch das Spiegelbild bin, wenn das Spiegelbild ich ist. Aha, also ein Paradoxon. Man muß die Logik transzendieren :-))).

Ja, ein schwer zu verstehender Satz, trotzdem (oder deswegen?) mag ich ihn sehr. Für mich bedeutet er erst einmal das, was du auch schreibst: Das Spiegelbild spiegelt mich – das, was ich da sehe, bin ich selbst, niemand Anderes; dennoch ist das da nicht ich, sondern ein Anderes. Bild und Abbild sind untrennbar, trotzdem sind sie nicht identisch. So wie Ich und Welt: Dieses gespiegelte Gesicht ist die Welt um mich herum, von der ich nicht unabhängig bin, sondern durch deren Spiegelung ich mir meiner selbst erst gewahr werde. Ich erkenne in der Spiegelung, die nicht ich bin, dass ich vom anderen verschieden bin, wie ein Kind, das ab einem bestimmten Alter lernt, „Ich“ zu sagen; aber gleichzeitig erkenne ich auch, dass sich dieses Ich nur bilden kann, weil es gespiegelt wird.

Oder so ähnlich. :-)

B.

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