Brief 135 | Der Grund ist schnell erreicht

Liebe B.,

Imaginäres oder nichtimaginäres „Außen“?

Ja, all dies kommt von außen auf uns zu, da gebe ich dir recht. Aber was daran ist imaginär? Falls wir nicht gerade solipsistisch unterwegs sind, gehen wir doch immer von einem ganz realen Außen aus. Aber ist dies dasselbe Außen, das du anklagst, mit dem du argumentierst, von dem du dich schlecht behandelt fühlst? Das hatte ich bisher nicht so verstanden. Ich hatte es so verstanden, als ob du nicht einfach die Vielfalt der Dinge und Umstände meinst, die uns umgibt, sondern einen ganz konkreten „Punkt“ (im Gegensatz zu dieser Vielfalt), etwas mit Intentionalität, letztlich also mit irgendeiner Art von Bewusstsein (ich habe etwas Wortfindungsschwierigkeiten, weil mir das alles gerade furchtbar kompliziert erscheint, je länger ich darüber nachdenke – zu viele Schnörkel! :-)). Ja sicher, man kann sich auch ganz allgemein über die Umstände beklagen, aber dann doch nicht mit dem Zusatz „Ich habe doch nichts getan“. Denn das setzt doch eine ganz konkrete, auf mich bezogene (in diesem Fall strafende) Absicht dieses Außen voraus. So, wie ich das Wort „Zufall“ verstehe, schließt das eine solche Absichtlichkeit aber gerade aus. Beim Wort „Schicksal“ mag das noch etwas anders liegen.

Es ist so großartig, was Du schreibst. Ich bin total begeistert davon. Seit nahezu zwei Jahren haben wir immer wieder über dieses Thema gesprochen, und ich bin jedesmal im Gedanken-Gestrüpp hängengeblieben ohne voranzukommen. Und nun, Deine Art der Verbalisierung legt mir den Blick frei(er). Alleine die Unterscheidung in das „imaginäre“ und das „nicht-imaginäre“ Außen - ich habe die Unterteilung überhaupt nicht gesehen, ich ahnte die Nebelwand nur. Natürlich, es gibt das –auch für mich- normale selbstverständliche Außen, das ich so hinnehme, wie es ist, ohne ihm mir feindlich oder freundlich gesonnene Absicht zu unterstellen. Und Deine Terminologie, „Intentionalität“, „Bewusstsein“ finde ich umwerfend treffend. „Feindlich“ oder „freundlich“ gesonnen ... Ob ich die Veränderung schon genau richtig erfasse, weiß ich noch nicht. „Intentionalität“ und „Bewusstsein“ nehmen diesem imaginären Teil des Außen seine Schärfe, besser seine Macht. Es steht mir mit diesen Termini ebenbürtiger gegenüber. „Gott“ bedeutet - ich glaube, ich las es so sinngemäß bei H. Blumenberg -, daß wir einen Teil von uns ins Außen setzen, nämlich die erwünschte Allmächtigkeit, und anschließend kommt es uns als das Absolute (Gott) von außen entgegen. Wenn man „glaubt“. Dies ist vorausgesetzt, denn andernfalls bleibt der Auslagerungsvorgang bedeutungslos. Das „Bewusstsein“ hingegen, das Absichten in Hinsicht auf meine Person hat, ist nichts Absolutes, ich kann es wegnehmen, und es wird zum nicht-imaginären Außen. Was geschieht, wenn ich es wegnehme und es sich im nicht-imaginären Außen auflöst, das erprobe ich.        

 

Begründung und Grund

Hier also mein Antwortversuch: Ich weiß gar nicht, ob es bei mir ums Gefallen oder Nicht-Gefallen geht. Weil mir keine spontane Antwort einfiel, habe ich versucht mich ins Alter von 13 Jahren zurückzuversetzen, als ich zum Konfirmationsunterricht ging, weil meine Mutter das so wollte, obwohl ich ihr klipp und klar gesagt hatte, dass ich, sowie ich 14 Jahre alt werden würde und somit religionsmündig, aus der Kirche austreten werde, sie sich die Kosten für die Feier also sparen könne. Warum war das schon damals so klar für mich, ganz ohne theoretischen Hintergrund? Zum einen war es pubertäres Aufbegehren. Außerdem kam ich mit all den logischen Ungereimtheiten nicht zurecht. Und dieser grässliche zu Tode gefolterte Mann, der in jeder Kirche hing, erschien mir als ein ganz furchtbares Leitbild. (Wie schön dagegen ein Buddha in Versenkung!)

Dann knüpfe ich mit meiner Erfahrung an. Ich wollte in den Konfirmationsunterricht gehen und bin auch gerne hingegangen. Ich habe an Gott geglaubt, und ich fand diesen Gedanken schön. Er hat mir sehr geholfen. Wann immer meine Mutter mich kränkte und nicht gut zu mir war, habe ich mit Gott-Vater gesprochen, und er hat mich getröstet. Die Funktion ist eindeutig, der Grund für mein „Glauben“ ist sie gewiß nicht. Dazu dann im nächsten Abschnitt. Vielleicht ist die Frage, ob man am Konfirmationsunterricht teilnimmt oder nicht, der Zeitpunkt, an dem die eigene Haltung ins Bewusstsein tritt? Ich zumindest kann mich an die Zeit davor nicht erinnern und weiß nicht, ob sich mein Gottesglaube entwickelt hat, oder ob es ein früheres Schlüsselerlebnis gegeben hat.

Aber der eigentliche Grund ist ein anderer, glaube ich: Es ist mir einfach unmöglich an etwas Jenseitiges, Übersinnliches, Allmächtiges zu glauben, egal ob als Person vorgestellt oder sonstwie. Ich habe irgendwo mal den Vergleich mit Farbenblindheit gelesen: So wie es Menschen gibt, die kein Rot sehen können, so gibt es Menschen, die nicht an Gott glauben können, einfach als fast physische Unmöglichkeit. Ich kann alle möglichen religiösen Konzepte intellektuell verstehen und nachvollziehen, aber ich kann sie nicht für real halten, so überzeugend sie auch sein mögen – sie bleiben für mich Konzepte. Es ist, als ob da die Rezeptoren, die Zäpfchen oder Stäbchen bei mir fehlen.

Aus religiöser, näherhin der christlichen Sicht, lautet der Satz „es ist ein Geschenk (oder auch eine „Gnade“) Gottes, glauben zu dürfen“. Im Kern entspricht die Aussage genau der Deinen aus nicht glaubender Perspektive. Entweder man glaubt oder man tut dies nicht. Dahinter gibt es keine Begründungen mehr.

Was mir an der „Farbenblindheit“ nicht gefällt, ist die Voraussetzung, daß normalerweise „Farben“ gesehen werden (von der Mehrzahl der Menschen) und sie nicht zu sehen, eine Abweichung, ein Defizit ist. Man müsste sie sehen, sieht sie jedoch nicht. Es ist mir zu wertend.

Die Schwierigkeit für uns überhaupt auf die Idee zu kommen zu sagen, „ich glaube einfach nicht“ liegt vermutlich darin, daß wir es so gewöhnt sind, nach Begründungen und noch weiteren Begründungen zu fragen und zu suchen ... alles muß begründet sein, bis man auf dem Grund angekommen ist. Es ist ungewohnt und wirkt unbefriedrigend, wenn man –schnell- feststellt oder feststellen muß: Hier ist Schluß mit den Begründungen. Man hat den Grund erreicht. Man glaubt oder glaubt nicht.      

 

Immanenz

Im Laufe der Jahrzehnte ist noch ein weiterer Grund hinzugekommen. Die monotheistischen Gottesvorstellungen, zumindest soweit ich davon weiß (was zugegebenermaßen eher wenig ist, meine Sicht mag also sehr naiv sein), teilen die Welt in eine jenseitige und eine diesseitige, wobei der jenseitigen der höhere Stellenwert zugeschrieben wird. Da für mich aber die Welt aus dem Wunder des Offensichtlichen, der Oberfläche, des Konkreten, des Gewöhnlichen, des Alltäglichen besteht, „gefällt“ es mir nicht, dass ein Jenseitiges, Übersinnliches darüberstehen soll. „Offene Weite, nichts von heilig“ – ich komme immer wieder auf diesen Satz zurück. Der Wegfall der Gottesvorstellung ist für mich, als wenn zwei Stereobilder, die man einfach nicht deckungsgleich bekommt, endlich ineinanderfallen und zu einem verschmelzen. Die Welt wird mit sich selbst identisch. Nichts Heiliges. Nur Welt.

Zuerst hatte ich Dir mit Diffenzierungen entgegnen wollen, habe die Idee aber schnell wieder verworfen, weil Du, wie ich meine, den zentralen Gedanken nennst und Differenzierungen ihn lediglich verkleistern würden. Ja, es gibt das Leben nach dem Tod, das himmlische Reich, in dem die Toten ihr Zuhause haben. „Und Gott wird abwischen alle Tränen und es wird kein Leid und kein Schrei mehr sein“ (aus der Offenbarung des Johannes). Es ist das jenseitige ewige „Alles ist gut“.

Ich habe Deine Aussage „die Welt wird mit sich selbst identisch“ betrachtet und mir ist dazu der Begriff „Immanenz“ eingefallen (der begrifflich natürlich ohne sein Gegenstück „Transzendenz“ nicht zu denken ist) und von der Immanenz her, die für mich das „nur dies hier“ bedeutet, kann ich Deine Faszination gut nachvollziehen (ich kann nicht erklären, warum mir der Zugang über das Wort „Immanenz“ leichter fällt). Diesseits und Jenseits machen die Welt, das Irdische, das Weltliche zu einem Defizitären, während die Welt als mit sich Identischem die Welt zu Einem macht. Sie ist nur das, was sie ist. Es fehlt ihr nichts.

 

?

Ach, du stellst Fragen – ich weiß es doch auch nicht! :-) Es ergeben sich tausend Probleme aus all diesen Konzepten, Anweisungen, Begriffen. Wer z.B. ist es, der versuchen soll vom Ich loszulassen? Wer beobachtet die Gedanken, ohne sich von ihnen mitziehen zu lassen? Dieser „nicht-wertende Geist“ wählt weder einen bestimmten Gedanken aus noch lehnt er einen anderen ab, sondern er ist angeblich absichtslos, nur beobachtend – wie soll das gehen? Die Antworten, die es darauf gibt, sind alle nicht wirklich befriedigend. Am meisten helfen mir da noch die poetischen Umschreibungen oder die Paradoxien, von denen es im Zen so viele gibt. Und wenn es einem ganz wirr im Kopf ist, dann kehrt man in den Körper zurück – einatmen, ausatmen, die Wirbelsäule spüren, wie sie sich in den Himmel reckt und gleichzeitig mit der Erde verankert ist … (Woraus sich schon wieder die nächste Frage ergibt: Reicht das dem menschlichen Geist wirklich aus?)

Für die vielen sichtbaren und die vielen unsichtbaren Körperteile haben wir viele Namen, für den unsichtbaren Bereich –des Geistes- erfinden wir eben auch viele Namen: „Ich“, „Selbst“, „Bewusstsein“, „Selbstbewusstsein“, „Seele“, „Geist“ ... mir hat es schon immer Spaß gemacht, an diesen Begriffen gedanklich herumzubasteln.  

„Du bist nicht das Spiegelbild,
doch das Spiegelbild ist Du.“

Obwohl ich mich einfach zu unintelligent finde, um zu verstehen, möchte ich Dir wenigstens das, was mein Geist sich denkt, schreiben. „Du bist nicht das Spiegelbild“ interpretiere ich so, daß ich (das angesprochene „du“) natürlich nicht das Spiegelbild bin, denn ich weiß ja, daß ich mich lediglich im Spiegel sehe. Das Spiegelbild hingegen hat kein Bewusstsein von sich, deswegen kann es nichts anderes sein als ich („du“). Hm, logisch gedacht, wäre der nächste Schritt dann, daß ich doch das Spiegelbild bin, wenn das Spiegelbild ich ist. Aha, also ein Paradoxon. Man muß die Logik transzendieren :-))).

F.

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