Liebe F.,
ich lasse diesmal vieles aus deinem Brief unbeantwortet, weil mich deine Frage, warum mir die Gotteskonzepte nicht „gefallen“, so sehr beschäftigt hat – ich habe geschrieben und gelöscht, geschrieben und gelöscht … darüber ist fast die ganze Woche hingegangen. Trotz dieser Bemühungen bin ich mir nicht sicher, ob meine nun endlich gefundenen Antworten wirklich die richtigen oder die entscheidenden sind. Vielleicht sind sie auch nur eine Momentaufnahme, und nächste Woche fallen mir noch ganz andere Gründe ein. Aber als Momentaufnahme taugen sie wohl.
Aber der Reihe nach.
Imaginäres oder nichtimaginäres „Außen“?
Du hattest früher häufiger vom „Schicksal“ gesprochen und meistens hinzugefügt „oder wie immer man das auch nennen mag“, das, „was uns zufällt“. Letztere Redewendung hattest Du auch öfter benutzt. Das ist eine hübsche Wortbildung, die auf den „Zufall“ weist. Sind nicht „Schicksal“ oder „Zufall“ „imaginäre Außen“? Kommt man überhaupt darum herum, dieses „Außen“ anzunehmen, wenn es um die Ereignisse in unserem oder dem menschlichen Leben allgemein geht, die wir nicht direkt oder indirekt beeinflussen können? Das beginnt bei der Geburt, da wir uns die Umstände, in die wir hinein geboren werden, nicht aussuchen können und endet beim Sterben, dessen Umstände wir uns ebenfalls nicht aussuchen können. Es handelt sich immer um Ereignisse, die uns als Person von außen treffen und betreffen.
Ja, all dies kommt von außen auf uns zu, da gebe ich dir recht. Aber was daran ist imaginär? Falls wir nicht gerade solipsistisch unterwegs sind, gehen wir doch immer von einem ganz realen Außen aus. Aber ist dies dasselbe Außen, das du anklagst, mit dem du argumentierst, von dem du dich schlecht behandelt fühlst? Das hatte ich bisher nicht so verstanden. Ich hatte es so verstanden, als ob du nicht einfach die Vielfalt der Dinge und Umstände meinst, die uns umgibt, sondern einen ganz konkreten „Punkt“ (im Gegensatz zu dieser Vielfalt), etwas mit Intentionalität, letztlich also mit irgendeiner Art von Bewusstsein (ich habe etwas Wortfindungsschwierigkeiten, weil mir das alles gerade furchtbar kompliziert erscheint, je länger ich darüber nachdenke – zu viele Schnörkel! :-)). Ja sicher, man kann sich auch ganz allgemein über die Umstände beklagen, aber dann doch nicht mit dem Zusatz „Ich habe doch nichts getan“. Denn das setzt doch eine ganz konkrete, auf mich bezogene (in diesem Fall strafende) Absicht dieses Außen voraus. So, wie ich das Wort „Zufall“ verstehe, schließt das eine solche Absichtlichkeit aber gerade aus. Beim Wort „Schicksal“ mag das noch etwas anders liegen.
Farbenblind
Warum gefällt Dir das „Gotteskonzept“ nicht? Ich frage absichtlich mit diesem Ausdruck. Wenn man grob gezeichnete einfache Darstellungen über die Unterschiede der Religionen liest (wobei der Begriff „Religion“ für den Buddhismus schon als erstes problematisiert werden müsste), dann wird als entscheidender Unterschied zwischen der jüdisch-christlichen Religion und dem Buddhismus immer die Personalität bzw. das nicht personale des Göttlichen angeführt. Zeichnet man feiner, dann ist der Gottesbegriff der jüdisch-christlichen Religion hoch komplex und weist keinerlei Ähnlichkeit mit dem Begriff „Person“ für Menschen auf. Vermutlich dürfte eine Betrachtung des Buddhismus zu ebenso differenzierten Ergebnissen kommen. Mich interessiert, ob Du meine Frage intuitiv, spontan und einfach beantworten kannst, oder ob sie Dich in endlose gedankliche Weiten führt, bei denen es keinen Anfang und kein Ende zu geben scheint.
Hier also mein Antwortversuch: Ich weiß gar nicht, ob es bei mir ums Gefallen oder Nicht-Gefallen geht. Weil mir keine spontane Antwort einfiel, habe ich versucht mich ins Alter von 13 Jahren zurückzuversetzen, als ich zum Konfirmationsunterricht ging, weil meine Mutter das so wollte, obwohl ich ihr klipp und klar gesagt hatte, dass ich, sowie ich 14 Jahre alt werden würde und somit religionsmündig, aus der Kirche austreten werde, sie sich die Kosten für die Feier also sparen könne. Warum war das schon damals so klar für mich, ganz ohne theoretischen Hintergrund? Zum einen war es pubertäres Aufbegehren. Außerdem kam ich mit all den logischen Ungereimtheiten nicht zurecht. Und dieser grässliche zu Tode gefolterte Mann, der in jeder Kirche hing, erschien mir als ein ganz furchtbares Leitbild. (Wie schön dagegen ein Buddha in Versenkung!) Aber der eigentliche Grund ist ein anderer, glaube ich: Es ist mir einfach unmöglich an etwas Jenseitiges, Übersinnliches, Allmächtiges zu glauben, egal ob als Person vorgestellt oder sonstwie. Ich habe irgendwo mal den Vergleich mit Farbenblindheit gelesen: So wie es Menschen gibt, die kein Rot sehen können, so gibt es Menschen, die nicht an Gott glauben können, einfach als fast physische Unmöglichkeit. Ich kann alle möglichen religiösen Konzepte intellektuell verstehen und nachvollziehen, aber ich kann sie nicht für real halten, so überzeugend sie auch sein mögen – sie bleiben für mich Konzepte. Es ist, als ob da die Rezeptoren, die Zäpfchen oder Stäbchen bei mir fehlen.
Im Laufe der Jahrzehnte ist noch ein weiterer Grund hinzugekommen. Die monotheistischen Gottesvorstellungen, zumindest soweit ich davon weiß (was zugegebenermaßen eher wenig ist, meine Sicht mag also sehr naiv sein), teilen die Welt in eine jenseitige und eine diesseitige, wobei der jenseitigen der höhere Stellenwert zugeschrieben wird. Da für mich aber die Welt aus dem Wunder des Offensichtlichen, der Oberfläche, des Konkreten, des Gewöhnlichen, des Alltäglichen besteht, „gefällt“ es mir nicht, dass ein Jenseitiges, Übersinnliches darüberstehen soll. „Offene Weite, nichts von heilig“ – ich komme immer wieder auf diesen Satz zurück. Der Wegfall der Gottesvorstellung ist für mich, als wenn zwei Stereobilder, die man einfach nicht deckungsgleich bekommt, endlich ineinanderfallen und zu einem verschmelzen. Die Welt wird mit sich selbst identisch. Nichts Heiliges. Nur Welt.
Einatmen, ausatmen
Der „Geist“ übrigens, der steht für die Person? oder den Teil der Person, der über alle Gedanken wacht? ... was auch wieder nur ein Gedanke sein könnte, der Gedanke, der die Übersicht über all die anderen Gedanken hat. Und noch zum Abschluß eine Verständnisfrage: Der nicht-wertende Geist setzt sich in gar kein Gedankenboot, ist das richtig? Denn würde er sich zwar nicht in "jedes", nur in manche hineinsetzen, wäre er wertend ...?
Ach, du stellst Fragen – ich weiß es doch auch nicht! :-) Es ergeben sich tausend Probleme aus all diesen Konzepten, Anweisungen, Begriffen. Wer z.B. ist es, der versuchen soll vom Ich loszulassen? Wer beobachtet die Gedanken, ohne sich von ihnen mitziehen zu lassen? Dieser „nicht-wertende Geist“ wählt weder einen bestimmten Gedanken aus noch lehnt er einen anderen ab, sondern er ist angeblich absichtslos, nur beobachtend – wie soll das gehen? Die Antworten, die es darauf gibt, sind alle nicht wirklich befriedigend. Am meisten helfen mir da noch die poetischen Umschreibungen oder die Paradoxien, von denen es im Zen so viele gibt. Und wenn es einem ganz wirr im Kopf ist, dann kehrt man in den Körper zurück – einatmen, ausatmen, die Wirbelsäule spüren, wie sie sich in den Himmel reckt und gleichzeitig mit der Erde verankert ist … (Woraus sich schon wieder die nächste Frage ergibt: Reicht das dem menschlichen Geist wirklich aus?)
„Du bist nicht das Spiegelbild,
doch das Spiegelbild ist Du.“
B.
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