Liebe F.,
Ich würde so gerne an dieser Stelle weiterkommen, irgendetwas Erhellendes, mich Weiterführendes herausarbeiten –und finde nichts bzw. drehe ich mich im Kreis. Vielleicht geht es darum zu akzeptieren, daß ich mein Bedürfnis nach Liebe habe und daß ich aber nicht mehr für die Erfüllung dieses Wunsches tun kann als nach einem Mann zu suchen. In dieser Hinsicht sitze ich nicht untätig und wartend, das stimmt, aber ob das Bemühen zum Ziel führt, das kann ich nur wartend anschauen.
Dazu fällt mir spontan ein, dass man manchmal sagt, dass man das, was man sucht, geben sollte. Die Sache also umdrehen. Ob das wirklich weiterführend ist, weiß ich nicht. Wenn man es nur als Ersatzhandlung versteht, sicher nicht. Wenn man sich selbst dabei vergisst, vielleicht schon.
Die Klage an ein imaginäres Außen ist nutzlos, da ist niemand, der sie hört und mir hilft. Es gibt auch keine ausgleichende Gerechtigkeit. Ich brauche meinen Blick ja nur nach draußen zu richten und sehe, es gibt kein „jetzt ist es genug gelitten“. Wenn die Zufälligkeit so ist, daß ich Pech habe, dann habe ich eben Pech, es geht anderen Menschen genauso, andernfalls hätte ich eben Glück gehabt. Ich versuche angestrengt so zu tun als sei dieses imaginäre Außen in Form eines Willens nicht vorhanden, ich wäre tatsächlich einem Zufall ergeben – wie fühlt sich diese Vorstellung an, was würde anders? Täte ich anderes als ich jetzt tue? Wohin könnte ich mich mit der Klage und dem Zorn wenden?
Es fällt mir ungemein schwer, mir deinen Zustand vorzustellen. Ich habe ein Bild vor Augen, wie du durch die Wohnung tigerst und innere (oder vielleicht auch laute) Selbstgespräche voller Klagen und Zorn und Selbstmitleid und Vorwürfen führst. Das kann ich noch einigermaßen nachvollziehen. Was ich überhaupt nicht verstehe, das ist der Adressat, an den du das richtest. Du versuchst „angestrengt so zu tun als sei dieses imaginäre Außen in Form eines Willens nicht vorhanden“ – dafür musst du dich anstrengen? Ich frage das nicht kritisch, sondern verständnislos.
Dazu fällt mir der Standardsatz meiner Mutter ein, den sie immer sagte, wenn irgendwas nicht so lief, wie sie es sich wünschte (das ging von Banalitäten bis zu ernsthaften Problemen): „Was habe ich nur verbrochen?“ Ausgerufen voll theatralischer Empörung über diese Ungerechtigkeit (denn natürlich ging sie davon aus, dass sie NICHTS „verbrochen“ hatte). Und ich habe diesen Satz nie verstanden. Warum sollte ihre Heizung kaputtgehen, nur weil sie irgendwann mal irgendetwas getan oder nicht getan hatte? Wo war da der Zusammenhang?
Die Offenheit ist mir wichtig, weil auf einem meiner Abgrundbilder dicht vor meinen Augen eine Tür herunterfällt, die mich in die Enge einsperrt und mir den Blick verwehrt. Es gibt in diesem Bild keinen Austausch mit mir und anderen Menschen. Ich darf sie nicht sehen, und sie sehen mich nicht. Die Bushaltestelle ist inzwischen auch zu einer konkreten Haltestelle geworden, direkt vor meiner Wohnung. Das heißt, sie ist in der Stadt und viele Menschen bewegen sich um sie herum.
Ich kann mir nicht so recht vorstellen, wann dich solche Bilder heimsuchen. Sie klingen mehr nach (Alp-)Traum als nach Wachzustand. Kommen sie aus heiterem Himmel, während du eigentlich mit etwas ganz anderem beschäftigt bist? Oder bilden sie sich langsam heraus, während du über deinen Zustand grübelst? Oder tragen dich die Worte fort, wie es bei mir oft ist?
Ich finde einfach nur schön, über Deine Verteilung zu lesen. Wie es mir auch schon gegangen ist, als Du von Deinem „Talent zum Glück“ geschrieben hattest (ganz zu Beginn unseres Briefwechsels). Es muß nicht notwendig so sein, wie ich es erfahre.
Und ich lerne aus dem, was du schreibst: Es muss nicht notwendig so sein, wie ich es erfahre. :-) Das ist zwar nicht so „schön“ für dich, aber für mich ist es ein heilsames Gegengewicht zu meinem notorischen Glücksgefühl.
Mir ist für meine Haltung eine schlichte Formulierung in den Sinn gekommen, die mir ganz gut gefällt: Ich lebe nicht leicht. Das ist etwas anderes als zu sagen, mein Leben sei nicht leicht.
Oh ja, das ist ein großer Unterschied! Und DAS kann ich sogar verstehen, im Gegensatz zu deinen Anklagen. Das ist eine psychische Disposition, die einfach da ist und die man nicht so leicht ändern kann. Während die Beurteilung, ob dein Leben nun schwer ist oder nicht, sehr davon abhängt, womit man es vergleicht. Einerseits sind deine äußeren Bedingungen, verglichen mit dem größten Teil der Weltbevölkerung, alles andere als schlecht. Andererseits ist die Art und Weise, wie man auf die Widrigkeiten des Lebens reagiert, nicht so sehr von den äußeren Bedingungen abhängig, sondern in viel größerem Maße von der eigenen Verfasstheit, und wenn man dazu neigt, vieles schwer zu nehmen, dann IST es auch schwer für denjenigen. Da wären Relativierungen fehl am Platz.
Vielleicht deutet sich auch in dieser Formulierung so etwas wie eine Offenheit an, fällt mir gerade ein? Denn wenn du von „mein Leben ist nicht leicht“ weggehst zu „ich lebe nicht leicht“, lässt das die Möglichkeit zu, dass dein Leben sich auch ändern kann, es sich also nicht um eine schicksalhafte Verdammung zu einem schweren Leben handelt.
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Ich bin ehrgeizig, Deinen Verästelungen folgen zu können und versuche mich: Der Schmerz ist ein unangenehmes Gefühl, dem Du das Unangenehme nimmst, indem Du ihn in die Sphäre des Erhabenen hebst. Dort aber wird er –fast- zu einem zu genießenden Gefühl, zumindest gerät er in den Genußbereich. Dadurch allerdings bekommt er etwas Falsches. Ein Schmerz, der genossen wird, ist kein echter Schmerz. Die Aufrichtigkeit Dir selber gegenüber möchte das nicht hinnehmen und deswegen wechselst Du in die Freude. Das heißt, wenn es möglich ist, den Schmerz zu verlassen und zur Freude zu gehen, dann kann es so doll um den Schmerz nicht bestellt sein. Um Deinen Windungen folgen zu können, mußte ich reichlich Interpretation dazutun – von der ich mir nun aber gar nicht sicher bin, ob sie zutrifft –
Nicht ganz. Es geht mir nicht um den unterschwelligen Genuss am Leiden, sondern mehr darum, dass leidvolle Gefühle, zumindest für mich, eine andere Aura haben als angenehme. Sie wiegen schwerer, wollen ernster genommen werden. Aber wenn ich merke, dass da wieder einmal solch ein Gefühl mit Ausschließlichkeitsanspruch auftaucht, versuche ich mir klarzumachen, dass alle Gefühle gleichwertig sind; ich kann sie also gewissermaßen von außen betrachten, anstatt in ihnen festzustecken. – Ich weiß nicht, ob es nun klarer geworden ist? Vermutlich nicht. Macht nichts.
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Sichere Indizien dafür, daß es sich nicht um Gipfelerlebnisse handelt, ist ein starkes Bedürfnis, anderen Menschen von dem Erfahrenen zu erzählen, ein Mitteilungsdrang, der wohl, so würde ich im Kontext unseres Gespräches über das „Ich“ sagen, auf ein Aufblasen des „Ichs“ zurückzuführen ist. Weiterhin alle Formen von Gefühls“aufwallungen“, Ekstase, Rausch, unbändige Freude oder ein tiefer Schmerz und Traurigkeit. Dazu gehören dann auch die entsprechenden körperlichen Ereignisse wie Weinen oder Lachen. Gipfelerfahrungen sind unspektakulär, dies, glaube ich, ist der treffendste Ausdruck für das Erleben. Die Seele wird still, friedlich, gelassen. Eine beständige Seelenruhe stellt sich wohl nicht ein, nur sind die Gefühlsregungen danach, wie soll ich sagen, weniger intensiv, temperierter vielleicht, maßvoller.
Oh, das ist toll! So konkrete und überzeugende Kriterien hatte ich gar nicht erwartet. Teresa scheint eine sehr interessante Frau gewesen zu sein.
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Mir wollten diesmal partout keine Überschriften einfallen. Ich grübel darüber mit meinem Migränekopf jetzt auch nicht weiter nach (ich fürchte, auch der Brief hat darunter gelitten, deshalb meine vielen Verständnisschwierigkeiten), du musst heute also mit schnöden Strichen vorliebnehmen. :-)
B.
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