Liebe F.,
Übers Internet eine Schüler-Lehrer-Beziehung zu entwickeln bedeutet, so wie ich es einschätze, ein Lehrer müsste sich entweder selber für hellsichtig halten, d.h. er müsste von sich glauben, einen fremden Menschen virtuell rundherum als Person erkennen zu können, oder aber er müsste meinen, zu lehren sei auch möglich ohne die Person des Anderen zu erkennen. Liebe B., ich habe den Ausdruck „erkennen“ gewählt ohne ein Wissen darüber, was ein ZaZen-Lehrer vom Schüler muß „sehen“ können. Vielleicht bist Du inzwischen kundig genug, um ein treffenderes Wort einzusetzen. Übrigens finde ich an den Paradoxien zunehmend Gefallen, denn mir fiel so beiläufig ein zu fragen, was denn ein ZaZen-Lehrer einen Schüler wohl lehrt, wenn es „nichts“ zu lehren gibt.
Dazu fällt mir der Zen-Satz ein: Was kann der Lehrer vom Schüler lernen? :-)
Nein, ich weiß so gut wie nichts über das Lehrer-Schüler-Verhältnis. Es wird in der Literatur, die ich bisher gelesen habe, nicht besonders ausführlich behandelt (wie auch, wenn es gar nichts zu lehren gibt … :-)), und es ist für mich auch nicht von Belang, ich bin ja nicht auf der Suche danach. Vielleicht wäre das anders, wenn es in meiner näheren Umgebung Zen-Lehrer oder Lehrerinnen gäbe, aber da das, soweit ich weiß, nicht der Fall ist, ist es für mich nicht weiter wichtig.
Du wirst meine Frage aus Diskretionsgründen voraussichtlich nicht beantworten, eventuell, falls es auf verallgemeinernde Weise geht, worauf sich Deine Fragen an die beiden angeschriebenen Lehrer bezogen haben. Anders gesagt, selbstverständlich gibt ein Lehrer Informationen weiter, das heißt Inhalte, ansonsten müsste er schweigen (ich erinnere nichts, gar nichts mehr von dem, was der Lehrer des Sesshins, an dem ich vor Jahrzehnten teilgenommen habe, „erzählt“ hat).
Das mit der Diskretion hat sich längst erledigt, meine Frage ist ja ausführlich in aller Öffentlichkeit auf Youtube ausgebreitet worden. :-) Und außerdem: Die Besprechung irgendwelcher intimen persönlichen Probleme ist ja gar nicht das Ziel eines solchen Kontaktes. Brad Warner sagte mal: Wenn die Leute bei Sesshins doch bloß nicht immer mit ihren Beziehungsproblemen zu ihm kämen! Er wisse nichts über Beziehungsprobleme und sie interessierten ihn auch nicht.
Es ging, kurz gesagt, um meine Verunsicherung, ob mein Zazen überhaupt „richtig“ ist, denn es fühlt sich eigentlich mehr so an, als wenn ich auf dem Lande in einer einsamen Bushaltestelle sitze, weil ich den Bus verpasst habe und nun eine Stunde auf den nächsten warten muss. Und Muho hat, soweit das irgend geht, versucht darzulegen, wie die Praxis von Zazen abläuft. Es ging also mehr um den technischen Aspekt der Sache, obwohl der natürlich vom Inhalt nicht zu trennen ist. Im Grunde lief es darauf hinaus, dass ich meine Zweifel, oder was auch immer da während des Sitzens hochkommt, als Teil der Praxis begreifen könne, dass alles in Ordnung ist, so, wie es ist. Radikale Akzeptanz des Moments, sozusagen. :-)
[…] weil die körperliche Handlung und die geistige Tätigkeit sowohl beim Bogenschießen als auch beim Tai Chi engstens miteinander verknüpft sind und am Ende wird „nichts mehr bewusst kontrolliert“; hier scheint mir auch die von Dir schon erwähnte „Spontanität“, bei der man intuitiv handelt, beispielhaft (vielleicht ist die Redewendung „aus dem Bauch heraus“ an dieser Stelle nicht unpassend, weil es um ein Handeln geht, bei dem alle Energien an einem Punkt versammelt oder auf einen Punkt konzentriert werden).
Das bringt mich zum Thema der Verkörperlichung (kein Zen-Fachausdruck, glaube ich), die im Zen eine große Rolle spielt (deshalb auch die Beispiele Tai Chi und Bogenschießen). Neulich las ich in einem Zen-Buch: „Wer bist du, wenn du dich beschreiben solltest, ohne dabei deine Gedanken miteinzubeziehen?“ Diese Frage hatte einen überraschenden Effekt. Nicht, weil es mir schwergefallen wäre, mich nur auf der körperlichen Ebene zu beschreiben, das ging relativ leicht. Sondern das eigentlich Überraschende war, einen wie riesigen Anteil alles Geistige hat an dem, was ich für mein Ich halte. Als würde ich zu über 90 Prozent nur aus dem bestehen, was in meinem Kopf abläuft. Die Rückführung auf den Atem und das geduldige Beobachten der Körperreaktionen während des Zazen, auch die große Betonung der alltäglichen körperlichen Arbeit außerhalb von Zazen, die ebenso Teil der Praxis ist (Standardbeispiel: Bring den Müll runter!) – dies alles führt im Idealfall zu einemSpüren des ganzen Menschen. Mir fällt das Wort Integration ein, auch wenn ich nicht genau weiß, ob es hier passend ist. Ich integriere den körperlichen Anteil von mir in mein Ich – ist das nicht im Grunde absurd?
Wo wir beim Thema sind: Deine Briefe kreisen seit einiger Zeit intensiver um den Begriff des „Ich“. Ist das deine Gegenreaktion auf mein Thema des Zen? Auch wenn das im Zen weniger stark ausgeprägt ist als in anderen Richtungen des Buddhismus (zumindest soweit ich davon überhaupt etwas weiß), so ist ja allen gemeinsam der Gedanke der Überwindung des Ich. Du aber machst das Ich stark. Das finde ich interessant.
B.
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