Liebe F.,
„Was befiehlt mir mein Meister?“
Ja, Du hast verstanden, was ich meinte. Aber ich möchte Dich doch ganz ernsthaft fragen, ob Du tatsächlich Deiner eigenen Antwort zustimmst? :-))) Sie klingt derart bestechend „geschmeidig“, daß ich vor lauter Eingängigkeit über sie stolpere. Selbst wenn das Ziel des „Sitzens“ nicht die Erleuchtung, auf dem Wege dahin die spirituellen Highlights sind, dürfen sie nicht sein? Was ist falsch daran? Vorausgesetzt und angenommen, Du wüsstest und würdest überhaupt erkennen, daß es sich um ein spirituelles Highlight handelt. Da ich bisher noch nie eines hatte, weiß ich nicht, ob man es unmittelbar, ohne sich zu beobachten oder zu reflektieren, als ein Solches erkennt.
Du hast recht, das war etwas flapsig und nicht so ganz durchdacht geschrieben. Sagen wir besser: Wenn ich nach einem spirituellen Highlight suchen würde, wenn dies das Ziel meines Sitzens wäre, käme mir das wie ein Irrweg vor. Da will ich gar nicht hin. Wenn es geschieht – woran auch immer man das merkt –, dann ist das halt so und ist bestimmt auch ganz toll. Es wäre also nichts falsch daran, aber es interessiert mich nicht besonders. Ich wünsche mir gerade nicht etwas Außergewöhnliches zu erleben, sondern ganz im Hier und Jetzt anzukommen, in all seiner Profanität und Schönheit. Dafür ganz offen zu werden.
Was hat es mit diesen „Zen-Menschen“ auf sich? Kann man sich ihnen anvertrauen? Haben sie eine Ausbildung?
Übers Internet bin ich auf mehrere Zen-Lehrer gestoßen, hauptsächlich über den Film „Blueprints for Zen Practice“, in dem verschiedenen überwiegend deutschen Zen-Meistern dieselben 9 Fragen gestellt werden. Es ist sehr interessant zu sehen, wie unterschiedlich die Antworten ausfallen, man hat also einen ziemlich guten Eindruck von den Leuten, gerade durch den direkten Vergleich. Eine reguläre mehrjährige Ausbildung in Japan und/oder in Europa bei japanischen Meistern haben sie wohl alle absolviert und die sogenannte Dharma-Übertragung erhalten, also eine Lehrbefugnis. So richtig beeindruckt haben mich nur zwei (Muho aus Osaka und Dirk Künne aus Halle). Hinzu kommt noch – nicht aus dem Film – der Amerikaner Brad Warner. Alle drei bezeichnen sich weder als Lehrer noch als Meister, selbst Muho nicht, obwohl er fast 20 Jahre lang Abt eines Zenklosters in Japan gewesen ist (der einzige Europäer, der bisher ein solches Amt innehatte).
Kann man sich ihnen anvertrauen? Hm … Muho und Brad beantworten Fragen, haben auch schon auf Mails von mir geantwortet. Aber das würde ich nicht als ein Anvertrauen bezeichnen. Dazu braucht es wohl den persönlichen Kontakt. Ich weiß nicht, ob es Zen-Lehrer gibt, die via Internet ein Lehrer-Schüler-Verhältnis aufbauen. Muho lehnt das jedoch explizit ab, und ich nehme an, die anderen beiden sehen das ähnlich, zumindest finde ich auf ihren Seiten oder in ihren Youtube-Videos keinerlei Hinweise auf ein derartiges Angebot.
Aber ich glaube, du meintest mehr: Kann man ihnen vertrauen oder handelt es sich eventuell um Scharlatane? Tja, woran soll man das festmachen? Alle drei reden nicht mit dem Brustton der Überzeugung, verkünden keine Wahrheiten oder Weisheiten, sondern äußern immer wieder auch Selbstzweifel, das empfinde ich als ein gutes Zeichen. Ansonsten verlasse ich mich auf mein Bauchgefühl und meine Menschenkenntnis, soweit vorhanden, und, ja, vertraue ihnen.
(Dabei fällt mir diese herrliche Szene aus „Nosferatu“ von Werner Herzog ein, in der Renfield (Roland Topor) im Staub kriecht vor seinem Meister (Klaus Kinski).)
Spielerisch
Deine Form des Rollenspielens, in dem Du Dich zur Zeit übst, könnte ebenso zu einer Verfestigung dessen führen, was Du als „Wesen“ bezeichnest. Wäre es nicht so, hättest Du nicht kritisch die Vorstufe der „Selbststilisierung“ ins Auge gefasst, vermute ich. Treibt man die Selbststilisierung weiter, dann könnte das Rollenspiel zur Ver“wesen“tlichung des Spielens, der Offenheit und der Nicht-Verfestigung führen. Wie kommt man da heraus? Indem man sich auflöst ... ? :-)
Das ist ein interessanter Aspekt, auf den ich noch gar nicht gekommen bin. Ja, die Gefahr besteht natürlich. Wie kommt man da heraus? Mir fallen spontan Bogenschießen oder Tai-Chi ein, also Tätigkeiten, die relativ schwierig zu erlernen sind, die man sehr lange üben muss, bis man sie beherrscht. Dieses Beherrschen führt dann aber nicht zu einer Erstarrung, sondern im Idealfall zu einer vollkommenen Natürlichkeit, weil nichts mehr bewusst kontrolliert werden muss.
Eine andere Möglichkeit wäre, dass ich spielen kann, aber nicht um jeden Preis, nur um ein bestimmtes Bild von mir selbst zu erfüllen, spielen muss. Ich bin frei zu wählen, ob ich was Neues ausprobieren oder auf Altvertrautes zurückgreifen will. Und nur so, denke ich, bleibt das Spiel ein Spiel, behält den Charakter des Zwanglosen, des Vergnügens.
Eigenwillig
Vielleicht passt der Aspekt des „Ich“, der für mich zuletzt während des Schreibens an meinem Brief in den Vordergrund gerückt ist, am besten zum „Ego“-Verständnis, aber unabhängig davon ist mir zum „Ich-Sterben“ (wie Teresa von Avila es nennt) das Wort „Eigenwillen“ in den Sinn gekommen, das Einüben ins Aufgeben des Eigenwillens, wie es im christlichen Monastizismus gelehrt wird. Das „Ich“ ist der Urheber, der Träger von Absichten, Zielen und Handlungen, mit denen wir unsere Wünsche zu erfüllen suchen. Wenn man „sitzt“, damit es „nichts bringt“, dann hat dies zwar eine paradoxe Struktur, und trotzdem bleibt die Handlung immer noch an eine Absicht und das „Ich“ geknüpft.
Geht dir das auch so? Ich finde den Gedanken der Ich-Aufgabe, egal ob im buddhistischen oder christlichen Kontext, sehr zwiespältig. Er macht mir Angst, gleichzeitig finde ich ihn faszinierend. Angst, weil das so negative Assoziationen bei mir auslöst wie Gewalt, Willen brechen etc. All diese Lehrer, von denen ich hier gesprochen habe, wirken auf mich jedoch überhaupt nicht so – obwohl ich davon ausgehe, dass sie schon ziemlich weit auf diesem Weg sind –, als führe diese Selbstaufgabe zur Auslöschung ihrer Persönlichkeit. Im Gegenteil, ich empfinde sie als sehr starke, eigenwillige (!) Persönlichkeiten. Das ging mir auch so bei einem evangelischen Pastor, den ich vor Jahrzehnten kennengelernt habe. Aber ich bin so konditioniert, dass bei mir sämtliche Alarmglocken schrillen bei dem Gedanken, ich solle mein Ego, meinen Eigen-Willen aufgeben.
Die Faszination liegt für mich darin, um einen Gedanken von oben fortzuführen, dass ich, indem ich immer offener werde für das Hier und Jetzt, in einer gleichzeitigen Bewegung immer mehr von mir absehen kann. Es wäre also nicht das Ziel, das Ego oder das Ich aufzugeben, zum Verschwinden zu bringen, sondern eher, es verblassen zu lassen. Es hat genauso seine Daseinsberechtigung wie alles andere, aber es verliert zunehmend an Wichtigkeit. Ich kann so bleiben, wie ich bin, ich muss mich nicht verbiegen oder gar vergewaltigen, aber ich darf mich vergessen.
Deinen letzten Satz habe ich nicht verstanden:
Wenn man „sitzt“, damit es „nichts bringt“, dann hat dies zwar eine paradoxe Struktur, und trotzdem bleibt die Handlung immer noch an eine Absicht und das „Ich“ geknüpft.
Das hört sich so an, als ob es (zumindest auf diesem Wege) unmöglich ist, das „Ich“ loszuwerden. Hast du es so gemeint?
B.
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