Liebe F.,
„Geh und wasch deine Essschalen“
Aber es ist auch noch etwas Anderes, wenn ich mir überlege, warum ich mich gerne auf Dein „Steckenpferd“ einlasse. Es hat genau mit dem zu tun, woran Du kein Interesse hast. Dem spirituellen/esoterischen Aspekt des ZaZen –zumindest derzeit – nämlich nicht nachzugehen, d.h. der Vernachlässigung der gedanklich-theoretischen Konzeption zum Verständnis des Weltganzen. Den „Kern der Wirklichkeit“ suchen, wovon ich selbstverständlich auch nicht weiß, was das nun näherhin bedeuten könnte, heißt für mich, ZaZen inhaltslos zu betrachten. Falls inhaltlos „leer“ meint und ich für „leer“ auch „alles“ einsetzen kann. Es bleibt alles, wie es ist, das Alltagsleben, ich darin, ich muß nichts anderes darüber denken oder darin tun, was ich nicht ohnehin tue – ich komme mir nicht bedrängt vor. Hm, ich glaube, am allermeisten gefällt mir die Art und Weise, in der Du über das „Sitzen sprichst“. „Schlicht“, „karg“, in einfachen Worten und Sätzen, nüchtern, ja, „nüchtern“ ist ein guter Ausdruck dafür. Mir wird kein Staunen, keine Bewunderung abverlangt über großartige spirituelle „Highlights“, über Fortschritte, über eine Welttheorie. Diese Beurteilung geschieht auch vor dem Hintergrund, daß ich in meinem Leben einige Menschen kennengelernt habe, die die Meditation bzw. ihre Erfahrungen zur Selbstdarstellung und Selbststilisierung u.a. benutzt haben ... was mich nicht angezogen hat.
Ach, hatte ich vergessen zu erzählen, dass ich inzwischen zehn Zentimeter über dem Kissen schwebe? – Nein, wenn ich ein spirituelles Highlight haben würde, hätte ich, nach meinem Verständnis, was falsch gemacht. :-)
Allerdings stellt sich mir bei dieser nüchternen Betrachtungsweise, die nichts erwartet, bei der alles so bleibt, wie es ist, immer wieder die Frage: Ja, warum mache ich es dann überhaupt? Reicht es, dass es sich „schön“ anfühlt, dass ich mich darin „zu Hause“ fühle? Wenn ich in solche Fragenstrudel gerate, denke ich an den Satz eines amerikanischen Zen-Menschen (ich weiß gar nicht, wie ich diese Leute nennen soll, die sich selbst weder als Meister noch als Lehrer bezeichnen), der darauf antwortet: „Sit down and shut up.“ Wobei das nicht auf seinem Mist gewachsen ist – genau diese Nicht-Anweisungen bekommt man, nach allem, was ich darüber gelesen habe, in japanischen Zen-Klöstern während der „Ausbildung“. Aber der Satz ist so wunderbar prägnant. Oder (von anderen Leuten): „Zazen bringt nichts“ oder „Zazen is goal-less“ oder „Zazen is good for nothing“ … diese Reihe ließe sich noch länger fortsetzen. Genau das sind die Sätze, weswegen ich Zen toll finde! :-)
Dazu passt meine Lieblings-Zen-Geschichte:
Ein Mönch kommt zu Zen-Meister Joshu und sagt: „Meister, ich bin noch neu hier im Kloster und möchte euch bitten, mich zu unterweisen.“ Joshu fragt ihn: „Hast du schon gefrühstückt?“ Der Mönch antwortet: „Ja, Meister.“ „Gut“, erwidert Joshu, „dann geh und wasch deine Essschalen.“
Zen ist nicht Erleuchtung, Zen ist Alltag.
Rollenspiele
Mit dem Ausdruck „Rollenspiel“ hatte ich Schwierigkeiten; nun, in Verbindung mit dem „Bild“ und Deinem „Verhaltens“beispiel ist mir klarer geworden, was Du meinst. Einzelne Verhaltensweisen fügen sich zu einem Bild zusammen, das man als Typos („scheuer“ oder „selbstsicherer“ Mensch) bezeichnen könnte. Mir scheint nun aber entscheidend gar nicht die „Rolle“ oder wie immer man es noch nennen könnte, sondern das „Spiel“ als Teil des zusammengesetzten Wortes. Auf dem „Spiel“ sehe ich die Betonung liegen. Eine Rolle spielen bedeutet, so „tun als ob“. Voraussetzung dafür ist nicht nur, gedanklich überhaupt eine andere Möglichkeit des Verhaltens oder des Handelns in den Blick nehmen zu können, sondern mehr noch, sich anders verhalten zu können. Das „Spiel“ bietet die Möglichkeit, sich nicht mit einer neuen Verhaltensweise identifizieren zu müssen, weil man lediglich für einen bestimmten Zeitraum und eine bestimmte Situation ein neues „Kleid“ anlegt, das man jederzeit auch wieder ablegen darf.
Das Spielerische an der Sache – schön!
Wir haben es hier ja mit zwei verschiedenen Arten von Rollenspiel zu tun. Beim ersten Teil meiner Überlegungen – dass man durch ständige Wiederholungen eines bestimmten Verhaltens dieses verfestigt, bis man es für sein wirkliches Wesen hält – fehlt genau dieses spielerische Moment. Da kommt gerade nichts in Bewegung, sondern im Gegenteil, es führt zur Starre. Während so, wie ich jetzt dieses Spiel versuche zu spielen, es wirklich ein Spiel ist. Es kommt nicht so drauf an, ich nehme das nicht mehr so ernst, es macht Spaß, ich fühle mich (relativ) frei dabei. Ich schreibe „relativ“, weil ich es hier nun nicht übertreiben will mit der Selbststilisierung. :-) Es sind noch genügend verfestigte Verhaltensweisen in mir, die ich nicht so einfach ablegen oder überschreiten kann, wie ich es gern täte.
Ich / Ego
Mich fasziniert die Geschichte um das, was wir „Ich“ nennen und mir fällt spontan Kant ein, den ich zitiere: „Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was garnicht gedacht werden könnte, welches ebensoviel heißt, als die Vorstellung würde entweder unmöglich, oder wenigstens für mich nichts sein“ („Kritik der reinen Vernunft“, §16). Ich glaube, mir fällt dieser Satz deswegen ein, weil das „Ich“, wie Kant es hier umschreibt, nämlich in seiner Funktion, auf jeden Fall auch substanzlos gedacht ist. Kants Umschreibung erinnert mich daran, wie das „Ich“ in der sprachanalytischen Philosophie erfasst wird, es dient als Hinweiszeichen auf meine Person. Mit „ich“ referiert man –für Andere- auf die eigene Person. Mehr ist es nicht. Das „Ich“ wird zum kleingeschriebenen „ich“. In dem zitierten Satz wird das „Selbstbewusstsein“ der Person angesprochen, ein ebenso schillerndes Wort wie „Ich“; die Notwendigkeit (sofern wir beim verstandesmäßigen Denken bleiben) daß einzelne Gedanken durch „etwas“, daß sie auf sich bezieht und zusammendenkt, vorhanden sein muß.
Ich kenne nur diesen Satz von Kant, nicht den Kontext, in dem er steht, daran liegt es wohl, dass ich ihn nicht verstehe. Ich habe mich immer gefragt, was Kant eigentlich damit sagen will, worauf er hinaus will. Hier muss ich also passen.
Mir fällt nur in diesem Zusammenhang auf, dass der Ich-Begriff in der „westlichen Philosophie“ sehr oft in einem erkenntnistheoretischen Zusammenhang benutzt wird. Bzw. zuerst ist mir die Umkehrung aufgefallen: Ich war nämlich verwundert, wie stark „psychologisch“ der Zen-Buddhismus ist. Es gibt zwar auch eine erkenntnistheoretische Komponente (was folgt aus der Grundannahme, dass alles leer ist?). Aber da Zen sehr praxisorientiert ist, geht es mehr um das (psychologische) Ego* als um das (erkenntnistheoretische) Ich. Diese ganze Geschichte mit dem Anhaften und dem Annehmen und Loslassen beispielsweise funktioniert ja hauptsächlich auf der psychologischen Ebene. Und ich bin immer wieder überrascht, wenn ich Interviews oder Filme sehe und Bücher lese von Leuten, die man vielleicht als Zen-Lehrer bezeichnen könnte, ein wie großes psychologisches Wissen sie haben und wie häufig sie auf psychologische Themen eingehen – nicht theoretisch, sondern ganz lebenspraktisch. Und nicht nur die Lehrer, sondern auch die Schüler setzen sich intensiv mit sich selbst auseinander, zumindest in dem Film „Zen for nothing“. Ich weiß nicht, ob das am ständigen Meditieren liegt, das man als eine Art Innenschau sehen könnte? Jedenfalls führt es anscheinend, wenn man lange genug dabei bleibt, zu mehr Klarheit über sich selbst und die eigene Stellung in der Welt, was wiederum dazu führt, dass es einem leichter fällt, von sich selbst abzusehen. Also sozusagen erst in die eigene Tiefe und dann aus der Tiefe wieder heraus in die offene Weite.
Im Unterschied zu Montaigne liegt der Beschreibung von Kants „Ich“ keine Substanzvorstellung zugrunde, denn Montaigne möchte ich nun doch so verstehen, daß es sich bei seinem „Ich“ um Eigenschaften handelt, die ich anstelle des Begriffs der Substanz setze.
Wenn ich das richtig sehe, kümmert sich Montaigne nicht um Erkenntnistheorie. Er verwendet den Begriff „Ich“ einfach in seiner Alltagsbedeutung, ohne sich Gedanken über Substanz oder Substanzlosigkeit zu machen. Natürlich könnte man versuchen zu verstehen, welche stillschweigenden Grundannahmen dieser Verwendung zugrundeliegen. Aber dazu weiß ich auch zu wenig von Montaigne.
Wir tasten uns voran. :-)))
Jawoll! :-)
B.
*Wenn ich das richtig verstehe, wird der Begriff Ego nicht oder zumindest nicht ausschließlich im Sinne dessen, was wir oft eher negativ „egoistisch“ nennen, verwendet, sondern etwas neutraler als das, was notwendigerweise im Mittelpunkt unserer Welt steht. Wir können nur aus unseren Augen gucken, mit unseren Ohren hören, unsere Gedanken denken etc. Aber das ist noch sehr ins Unreine gesprochen.
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