Entgegen der Regieanweisung

Veröffentlicht am 8. Juli 2021 um 10:23

Ein Gedicht von Gabriele Wohmann, das sie mit "Spargelsaison" betitelt und das, wie sie kommentiert, über die "ganz und gar unmögliche Existenzform des Verwitwetseins" handelt (aus: "Ich lese. Ich schreibe. Autobiographische Essays", Luchterhand 1984). 

 

Diese Witwe beweint plötzlich im Stück  Ü B E R L E B E N

Fahrlässig gegenüber den vertrauten Regieanweisungen

Uneinsichtig ohne himmelwärts gewandtes Darüberstehen

Einfach kindisch, einfach in sehr großer Liebe gegenständlich

Ihren toten Mann in diesem Moment

Nur um der diesjährigen Spargelernte willen

Es schmeckt ihr ja selber nicht mehr richtig!

Sich selber beweint sie

O ja, wie fehlt er ihr doch.

Keine Komposition und kein Vers

Steht ihr bei gegen das irdische Vergnügen

Du Armer, mir kommt keine schöne Idee

zu dir, diese albernen Spargeln -

UND BUCHEN WIR DAS AB ODER ZAHLEN WIR ES BAR

Kann ich dich auch nicht mehr fragen!

 

Meine Regieanweisung flüstert laut und giftig: "was, nach 5 Jahren hast du immer noch nicht" und "du solltest mal" und "na, dann bist du selber schuld" - und trotzig rufe ich "nein, immer noch nicht".  Aber der Blick in diesem Gedicht ist ein ernüchternder (oder ist es ein "böser"?), keine Rettung ins Erhabene, nur Lücke des Alltags, denn alle Trostmittel versagen. Und immer so weiter.

F.   

 

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Kommentare

B.
Vor 4 Jahr

Wie angenehm unsentimental. Einfach nur bockig unversöhnt - so ist man manchmal eben auch, trotz aller Bemühung um radikale Akzeptanz.